Das Phänomen: Vollgetextet werden

Alles zu Deiner persönlichen Situation, Deinen Erlebnissen und was Dir auf dem Herzen liegt als Absoluter Beginner.
Rupes95

Re: Das Phänomen: Vollgetextet werden

Beitrag von Rupes95 »

Vogel hat geschrieben: 25 Okt 2022 21:24 Ich war am Wochenende neue Sportschuhe kaufen. Ich bat den Käufer um Beratung- die bekam ich auch, aber mehr als mir lieb war, einen Vortrag zu den Schuhen, deren Vorzüge und auf was ich alles achten sollte. O.k., dachte ich mir, er ist Verkäufer, es gehört zu seinem Job. Aber wohl fühlte ich mich trotzdem nicht- denn ich erlebe das ständig in verschiedensten Situationen:

Fremde Menschen - und auch bekannte- erzählen mir einfach ungebeten was von ihren Sorgen, Nöten und Gedanken- egal ob es mich interessiert.
  • Da wäre die ehemalige Kommilionnin, die mir von ihren Beziehungs- und Alltagssorgen erzählt. Als guter Freund versuche ich aktiv zuzuhören, versuche einfühlsam darauf einzugehen. Doch wenn ich was im Gegenzug zu dem Thema erzähle- dann wird das ignoriert- um sofort wieder auf das eigene Thema zurück zu kommen.
  • Da wäre die andere Kommilitonnin, die auf der Suche nach bestimmten beruflichen Interviewpartnern ist- es wird mir breit und lang erzählt, warum man das macht, was das für einen Zweck hat. Ich bin nett, nenne ihr ein paar Menschen, frage was dazu -und werde ab da sofort ignoriert- Antwort bekomme ich keine mehr.
  • Da wäre die weitere Kommilitonnin, deren Geschichten und Leistungen ich zum xten Mal höre.
  • Da wäre die andere Kommilitonnin, deren aus gesundheitlichen Gründen unerfüllte Kinderwunsch ich mir lange anhören durfte. Als es dann doch noch klappte- erfuhr ich es nicht von ihr. Höflich nachgehakt, wurde ich kurz angebunden abgewiegelt und ignoriert, ich hatte meine Schuldigkeit getan.
  • Beim Alumnitreffen hörte ich dann auch die Partner- und Kindergeschichten aller anderen- bei mir wollte man aber außer ob ich denn jetzt nach dem Studium arbeite (was für ne dämliche Frage!) , nicht viel mehr wissen.
  • Da wären die Kolleginnen, mit denen man im gleichen engen Büro sitzt. Auch hier werde ich zugelabert, bekomme Sachen erzählt, die mich nicht interessieren weil sie mich nur von der Arbeit abhalten- trotz mehrfacher Hinweise und hartnäckigen Schweigen wird mein Wunsch nach Ruhe ignoriert. Eine von denen beiden wird sogar lauter, wenn man versucht sie zu unterbrechen.
  • Ich erinnere mich an die ältere Dame, die von sich aus an der Bushaltestelle von ihrer Krebsgeschichte erzählte- ich hatte sie nicht mal angesprochen. Die Schulkameradinnen, die einem auf dem Nachhauseweg alles mögliche erzählten- und plötzlich nach der Schulzeit einen nicht mehr kannten.
  • Das letzte Match im Frühjahr, das nur von sich erzählte- aber kein Gegeninteresse zeigte- das erste Mal das ich jemanden ghostete.
  • Auch die Frau die ich vor zwei Jahren mal daten durfte, erzählte mir fast ununterbrochen 3h lang von ihren Cousinen, ihrer Familie, Ski fahren etc... - auf meine Sachen ging sie nicht ein. Sie wollte ein zweites Treffen- ich dann nicht mehr.
  • Die eigene Mutter, die mir morgens am Frühstückstisch von ihren Sorgen erzählte- und meine eigenen nie ernst nahm. Warum vertraute sie sich nicht meinem Vater an?
  • Etc, etc, etc......
Es fallen mir noch viel, viel mehr ein - ich könnte ewig so weitermachen -aber das tut jetzt schon weh. Es ist, als wäre ich ein zu Fleisch und Blut gewordener Kummerkasten, der zu nix weiter zu gut ist, als bedingungslos zuzuhören - und dessen eigene Bedürfnisse quasi nicht-existent; unsichtbar und unwichtig sind. Gleichzeitig trägt das zu meiner Einsamkeit bei, wenn man das Gefühl hat nur mißbraucht zu werden und das Gefühl hat, anderen unwichtig zu sein.

Ich erlebe das ständig- und ich frage mich, woran das liegt? Warum erscheine ich anderen Menschen als nix anderes als ein Seelenmülleimer zu sein? Kennt das außer mir noch jemand, dass man ungefragt voll bzw. zugeredet wird?
Das tut mir leid für Dich :cry: Aber tatsächlich beruhigt mich das schon fast, dass auch andere damit zu kämpfen haben (bitte nicht falsch verstehen). Ich erkenne mich in deinen Schilderungen leider total wieder - teils werde/wurde ich sogar mit den gleichen Themenfeldern zugemüllt. Da gab es die Freundin in der Schule, deren Familienstammbaum ich hätte irgendwann aufzeichnen können, die bis dato eigentlich fremde Kommilitonin, die mir plötzlich von einem morgendlichen Stromausfall berichtete, den Arbeitskollegen, der mich - Ironie des Schicksals - nach Datingtipps bzw. zum Thema "Frauen klären" fragte oder brandaktuell, den Kollegen/Kommilitonen, der meine beiläufige Bemerkung zu einer ausgefallenen Exkursion während Corona nutzte, um mich nach Feierabend eine geschlagene dreiviertel Stunde mit einem Monolog über Insekten zu erfreuen.
Ich frage mich auch schon lange, warum ich solche Menschen anziehe ... Meine Mutter meinte mal, ich müsste wohl einen gutmütigen Eindruck machen. Ich glaube mittlerweile, dass das einen Teil ausmacht, also dass man generell eine ruhigere oder empathischere Persönlichkeit ist. Daneben könnte ich mir aber auch vorstellen, dass das mit dem Selbstbewusstsein zusammenhängt: Diese Leute scheinen zu spüren, dass man sich weniger gut durchsetzen kann. Ich denke, jemand selbstsichereres würde irgendwann sagen "Jetzt reicht's mir!" und so eine Grenze setzen.
LonelyDude

Re: Das Phänomen: Vollgetextet werden

Beitrag von LonelyDude »

Rupes95 hat geschrieben: 03 Nov 2022 12:02 Ich frage mich auch schon lange, warum ich solche Menschen anziehe ... Meine Mutter meinte mal, ich müsste wohl einen gutmütigen Eindruck machen. Ich glaube mittlerweile, dass das einen Teil ausmacht, also dass man generell eine ruhigere oder empathischere Persönlichkeit ist. Daneben könnte ich mir aber auch vorstellen, dass das mit dem Selbstbewusstsein zusammenhängt: Diese Leute scheinen zu spüren, dass man sich weniger gut durchsetzen kann. Ich denke, jemand selbstsichereres würde irgendwann sagen "Jetzt reicht's mir!" und so eine Grenze setzen.
Mit Empathie hat das meiner Meinung nach wenig zu tun, wenn man keine Lust hat vollgetextet zu werden, aber es trotzdem über sich ergehen lässt, weil man nicht Nein sagen kann. Ich denke ich habe auch schon einige Male Menschen zugetextet und dabei nicht bemerkt, dass sie vielleicht gar keine Lust darauf hatten. Es ist aber eben saumäßig schwer für den Gegenüber einzuschätzen, ob sie jetzt wirklich Interesse an dem Gesagten hat und einfach nur zuhört oder ob sie einfach aus Höflichkeit bleibt und aber längst gehen wollte. Daher finde ich, dass man selbst deutlich machen sollte, dass der Monolog zu viel ist.
Das geht auch höflich und beide Seiten bekommen ihr Feedback.

Ich finde nichts schlimmer als wenn Menschen nichts sagen, obwohl es sie stört und dann vielleicht in einem sensiblen Moment explodieren oder sie schlecht über andere reden, weil sie ja von Person X unangenehm vollgesabbelt wurden, aber gleichzeitig auch nicht den Mut hatten es ihr persönlich ins Gesicht zu sagen.
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Re: Das Phänomen: Vollgetextet werden

Beitrag von Vogel »

Super, Danke- ich finde einige interessante, hilfreiche Aspekte da drinnen, die ich noch nie beachtet hatte: :daumen:
LonelyDude hat geschrieben: 03 Nov 2022 17:30
Mit Empathie hat das meiner Meinung nach wenig zu tun, wenn man keine Lust hat vollgetextet zu werden, aber es trotzdem über sich ergehen lässt, weil man nicht Nein sagen kann. Ich denke ich habe auch schon einige Male Menschen zugetextet und dabei nicht bemerkt, dass sie vielleicht gar keine Lust darauf hatten. Es ist aber eben saumäßig schwer für den Gegenüber einzuschätzen, ob sie jetzt wirklich Interesse an dem Gesagten hat und einfach nur zuhört oder ob sie einfach aus Höflichkeit bleibt und aber längst gehen wollte. Daher finde ich, dass man selbst deutlich machen sollte, dass der Monolog zu viel ist.
Das geht auch höflich und beide Seiten bekommen ihr Feedback.
Es geht mir ja nicht alleine um das zutexten- sondern auch auf das eingehen auf den anderen. Wenn man dem anderen aktiv und empathisch zuhört- dann erwartete ich halt auch, das die Gegenseite es genauso macht, wenn man was erzählt. Und genau das passiert dann eben nicht.

Ich frage mich da in dem Moment, ob nicht auch der andere sich Gedanken machen sollte, ob sein Monolog gerade zuviel wird. Da wird mir persönlich zuviel Verantwortung auf das Gegenüber abgewälzt. Das könnte aber an meiner Erziehung liegen- ich bin mit sehr "alten" Eltern aufgewachen (beide waren bei meiner Geburt Ü40) und mir wurde beigebracht, still zu sein, wenn andere reden und niemanden ins Wort zu fallen. Vor allem erwartetete man aber auch zu wissen, wann man und wie wieviel man spricht - und ich denke, das erwarte ich daher auch von den anderen. Das aber irgednwie zu zeigen wäre aber eine ehrlich Kommunikation, und das nehme ich jetzt für mich erstmal mit.
LonelyDude hat geschrieben: 03 Nov 2022 17:30 Ich finde nichts schlimmer als wenn Menschen nichts sagen, obwohl es sie stört und dann vielleicht in einem sensiblen Moment explodieren oder sie schlecht über andere reden, weil sie ja von Person X unangenehm vollgesabbelt wurden, aber gleichzeitig auch nicht den Mut hatten es ihr persönlich ins Gesicht zu sagen.
Ja, und das habe ich so noch nie gesehen- da wird mir vor allem eine Situation schmerzlich bewusst, in der ich dieser jenige war, der nicht den Mut hatte. Und das dem anderen es wie ein Schlag ins Gesicht gefühlt haben muss- zumindest der Reaktion nach. :sadman:

Zu Bedenken möchte ich aber allgemein auch gerne folgendes: Könntest Du Dir vorstellen, dass es sehr wohl Signale gab- und die nicht gesehen wurden, weil man zu sehr mit reden beschäftigt war und das Gegenüber nicht mehr beachtet hatte? Aber dann wäre man wieder bei dem obigen....
LonelyDude

Re: Das Phänomen: Vollgetextet werden

Beitrag von LonelyDude »

Vogel hat geschrieben: 03 Nov 2022 20:32 Es geht mir ja nicht alleine um das zutexten- sondern auch auf das eingehen auf den anderen. Wenn man dem anderen aktiv und empathisch zuhört- dann erwartete ich halt auch, das die Gegenseite es genauso macht, wenn man was erzählt. Und genau das passiert dann eben nicht.
Das kommt für mich darauf an. Wenn die Person dir ganz offensichtlich nur kurz zuhört, um dich dann weiter voll zu labern ohne auf dein Gesagtes mal eingegangen zu sein, während du dir aber selbst die Zeit nimmst auf sie einzugehen, z.B. in dem du Rückfragen stellst und wirklich versuchst sie zu verstehen, dann würde ich die Person in Zukunft wohl eher meiden.
Das ist für mich dann wirklich auch kein Dialog mehr. Kenne ich und muss ich mir nicht antun.
Vogel hat geschrieben: 03 Nov 2022 20:32 Zu Bedenken möchte ich aber allgemein auch gerne folgendes: Könntest Du Dir vorstellen, dass es sehr wohl Signale gab- und die nicht gesehen wurden, weil man zu sehr mit reden beschäftigt war und das Gegenüber nicht mehr beachtet hatte? Aber dann wäre man wieder bei dem obigen....
Das kann durchaus sein, dass es Anzeichen gab, aber dann eben so subtil, dass ich sie leicht verwechseln konnte. Und ich finde schon, dass es in der Verantwortung desjenigen liegt, der nicht mehr beschallt werden möchte, das auch entsprechend kund zu tun.
Es kann ja niemand die Gedanken des anderen lesen. Und daher finde ich es wichtig, dass man irgendwie zeigt, dass es einem zu viel ist. Man könnte ja z.B. sagen, dass man noch etwas zu tun hat und man gerne ein anderes mal zusammen quatschen könnte.
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Re: Das Phänomen: Vollgetextet werden

Beitrag von Hoppala »

Mal die Perspektive von einem (mir), der eher wenig bis gar nicht "zugetextet" wird:

Ich musste schon etwas im Gedächtnis kramen, um auf Situationen zu kommen, bei denen ich mir dachte: "nun mach mal langsam Schluss." Das heißt, ich kenne das auch. Aber in geringem Umfang.
Unter anderem. wenn ich wirklich keine Zeit und Aufmerksamkeit mehr aufbringen will - auch nicht aus Höflichkeit oder Mitleid - weise ich darauf hin, dass ich eigentich noch bis ZZ:ZZ XY tun wollte und schon spät dran bin; und wir das leider später fortsetzen müssen. (Wozu es praktisch nie kommt).
Eventuell noch ein paar Worte zum mir gerad Erzählten, um dem Erzähler das Gerfühl zu geben, dass seine Erzählung angekommen ist. Denn darum geht es ja wohl meistens: sich mitteilen wollen, Erfahrungen/Gefühle teilen, auch: eigene Gedanken/Gefühle sortieren.
Habe ich auch alles Verständnis für. Nur eben nicht immer ... bzw. ich habe eben auch Verständnis für meine Gefühle :-)

Darüber hinaus schätze ich, dass meine generell abwartend/skeptische/hinterfragende Haltung den Erzähldrang bremst, so dass es gar nicht erst öfter zu solchen Situationen kommt. Mehr als "Ach. Hmhm." und ähnliche Füllfloskeln sind von mir nicht zu hören, wenn mich etwas nicht interessiert und/oder ich nichts beizutragen weiß. Oder beitragen will.

Ablenken, indem das ich selbst das Thema auf irgendwas in der aktuellen Situation bringe, funktioniert auch.
Wenn es mich langweilt, schweift mein Blick ganz von selbst in die Gegend und ist über jede Ablenkung dankbar. Aufmerksame Erzähler bemerken das natürlich,. Unaufmerksame Erzählern darf man mit dem Zaunpfahl winken. Und ansonsten "Ich muss jetzt wirklich, du, tut mir leid, wir setzen das fort, aber nicht jetzt! Tschüß. Alles Gute". Letzteres dann schon abgewendet über die Schulter.
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