Ich habe eigentlich einen alten Link im Medien-Thread gesucht... aber da hat es mich jetzt doch so in den Fingern gejuckt zwecks "fast die Pinata getroffen, aber dann doch nicht", dass ich doch noch mal ein Passwort anfordern musste!SchwarzeZeder hat geschrieben: ↑30 Mär 2020 21:17Was höchst bemerkenswert ist, auch am verlinkten Artikel:Vidar hat geschrieben: ↑24 Mär 2020 21:38 https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2 ... tnerschaft
"Der Corona-Survival-Guide für Ihre Beziehung"
Jetzt in Zeiten von Corona wird (auch gerade von Psychologen) betont
- wie fundamental wichtig (körperliche) Nähe ist
- wie schwer es uns fällt, Abstand zu wahren, wo uns allen Nähe doch so gut tut
- welch elementares Grundbedürfnis Liebe, Partnerschaft und Sex doch ist
- wie uns die Partnerschaft Stütze, Halt, Hoffnung und Zuversicht geben kann
- wie sehr wir jetzt aufpassen müssen, aufgrund der Isolation nicht in Hoffnungslosigkeit und Depression zu verfallen
- dass körperliche Nähe und Sex unser Immunsystem stärkt, wir weniger anfällig für Infekte werden (gestützt durch entsprechende Experimente / Studien)
- wie wichtig ganz generell der Partner / die Partnerin für unser Wohlergehen und Glück ist, erst Recht in einer Ausnahmesituation wie dieser.
Und sonst, wenn gerade kein Corona kursiert? Wenn dann ein Single klagt, er / sie fühle sich einsam, unvollständig, allein, manchmal depressiv und wünsche sich so sehr eine(n) Partner/in?
Dann heißt es genau von denen, die jetzt die fundamentale Bedeutung von Beziehungen betonen
- dass man doch auch alleine glücklich sein müsse
- ja, dass man überhaupt erstmal alleine vollkommen glücklich sein muss, um überhaupt für eine Beziehung "bereit" zu sein
- dass ein Partner einem niemals das Glück bringen könne, das man nicht alleine schon hat
- dass eine Beziehung zwar schön sei, aber eben nur das "i-Tüpfelchen" eines ohnehin schon erfüllten Lebens
- dass ein Partner einem niemals das geben könne, was man sich nicht schon selbst geben könnte
- dass Selbstliebe die einzig wahre Liebe sei, dass die Sehnsucht nach einer Beziehung nur ein Zeichen der Unreife sei
etc. pp.
Und immer, wenn sie das sagen, denken sie, es sei etwas furchtbar Schlaues, etwas, was der Adressat (also der Single) so noch nie gehört habe.
Und zur Erinnerung nochmal: Jetzt, wo Distanz für viele auf einmal ein Thema wird, da ist die Beziehung, die körperliche Nähe, der Sex auf einmal etwas ganz, ganz Wichtiges, etwas, was sogar das Immunsystem stärkt.
Rein theoretisch müssten sie doch jetzt sagen: Die Distanz ist doch kein Problem, denn man muss ja ohnehin schon alleine vollkommen glücklich und zufrieden sein! Das aber sagt keiner.
Ich gehe jede Wette ein, wenn Corona mal überwunden ist, dann heißt es von den Psychofuzzys wieder, Partnerschaft könne niemals glücklich machen, wenn man es denn nicht schon alleine sei, etc. Und die Singles (die einsamer sind als Paare selbst in Coronazeiten) hätten doch nichts zu klagen!
Spätestens jetzt entlarven sich Psychologen als das, was sie wirklich sind: Anhänger einer Pseudowissenschaft (vergleichbar mit Impfgegnern, Reichsbürgern, Scheibenweltanhängern und ähnlichen unseriösen, esoterischen Verschwörungstheoretikern).
Ich unterschreibe alles in Deiner Analyse außer den letzten Satz.
Dir fehlt da nämlich das Verständnis woher diese Antworten kommen, die man als Dauersingle sonst immer sowohl von anderen als auch teilweise von Therapeuten bekommt stammen: Ideologie. Es gibt in der Soziologie viele neuere Werke (nach Ende 1990er), die sich mit Ideologie und Dating sowie Kapitalismus beschäftigen. Der Grund, dass individuelle Verantwortung ("du bist für dein Glück selbstverantwortlich! Du musst dich selbst lieben! Alleine klar kommen!") so gepusht wird ist laut Soziologie ganz simple Ideologie. Individualisierung, wenig Commitment, Fokussierung auf schneller Sex, maximaler Konsum des anderen und von Produkten sowie ständiges Streben nach Selbstoptimierung, Flexibilisierung wird im Kapitalismus gebraucht und gepusht. Kollektives aufeinander aufpassen und kollektive Verantwortung für das Wohlergehen der anderen nicht. Gibt es viel Zeug zu. Ich habe früher hier oft Ilouz zitiert und Bauman. Liv Strömquist hat auch dazu veröffentlicht.
Noch eine andere Sache zu Psychologie: Psychologie kann phantastisch bei individuellen Problemen helfen. Kollektive, strukturelle kann es nicht bewältigen. Als Beispiel: eine Therapie kann helfen bei Angst vor Spinnen oder Höhen oder Waschzwang. Wenn du sagen wir mal als schwarze Frau in den 1960ern (oder heute) in einem KKK-Gebiet wohnst, dann kann eine Therapie natürlich das individuelle Problem oder die Reaktion temporär, also nur kurzfristig, nicht nachhaltig, abmildern - nämlich den eigenen Angstzustand. Aber das strukturelle Problem des Rassismus und der tatsächlichen Gefahr, kann Psychologie in der Therapie nicht angehen (außer durch Empathiebekundung, was aber wenn der Zustand anhält, nicht hilft). Oder auch bei alleinerziehenden Müttern, deren Ex-Partner keinen Unterhalt zahlt oder wo der Partner gestorben ist und Schulden hinterlassen hat und die daher unter großem Stress und Armut leiden: da der Zustand der Armut strukturell bedingt ist und der Stress, kann da Therapie nicht helfen.
Kommen wir also zu ABs:
Psychologie, Therapie kann hier gut helfen bei ABs deren ABtum einen individuellen Ursprung hat. Als Beispiel gilt sexueller Missbrauch in der Kindheit oder ein geringes Selbstbewusstsein aufgrund von Mobbing oder schlimmen, nichtfürsorglichen liebenden Eltern.
Allerdings kann Psychologie absolut nichts ausrichten bei ABtum, dass strukturelle Faktoren hat. Mein eigenes Beispiel: ich bin acht (!!!) Therapeuten durch, bevor ich es aufgegeben habe. Die Antwort ist immer ungefähr gleich - Empathiebekundung und sonst nix. Was nichts hilft und nur frustrierend ist. Mein letzter Therapeut meinte in einer abschließenden Email ungefähr folgendes (ich zitiere aus dem Gedächtnis, da es das dazu gehörige Emailkonto nicht mehr gibt): "Ich kann Ihnen nicht helfen. Sie haben Recht, mein Leben würde mir auch nicht lebenswert vorkommen, wenn ich wüsste, dass ich wahrscheinlich nie Sex und Liebe erleben werde. Und Ihre Behinderung kann Ihnen niemand abnehmen. Das tut mir sehr leid. Ich kann Ihnen keinen Partner geben und ich würde Ihnen da auch nur ungern unrealistische Hoffnung machen." Ein/e Therapeut/in kann mir kein anderes Gehirn geben oder die Gesellschaft besser für Autismus sensibilisieren. Er/sie kann die Gesellschaft noch nicht mal für Ausgrenzung und ABtum sensibilisieren. Sondern nur individuelle, in der Biographie begründete Faktoren angehen. Und auch das nur so lange nicht zu viel Schaden angerichtet ist über viele Jahre. (Allerdings bemerkenswert die Resilienz teilweise: Elisabeth Fritzl ist seit Jahren mit ihrem 25 Jahre jüngerem Bodyguard zusammen! Ich denke aber, dass das eine Ausnahme ist.)