Es ist passiert! JACKPOT!
Am Sonntag nach dem Mittagessen war es soweit. Ich bin natürlich mit entprechender Aufregung wieder an den Mittagstisch. Eigentlich wollte ich meine Eltern gleich bitten nach dem Essen doch noch sitzen zu bleiben. Aber das habe ich wieder nicht hinbekommen. Naja, natürlich war noch nichts verloren. Verloren habe ich erst, wenn ich mich vom Mittagstisch entferne, ohne wieder was gesagt zu haben. Auf jeden Fall habe ich uns erst mal essen lassen. Danach haben meine Eltern wieder über Alltagsdinge miteinander gesprochen. Aber es war keine lebhafte Disskusion. Ich glaub in diesem Fall hätte mich, wie immer, mal wieder der Mut verlassen. Es gab zwischendrin immer wieder lange Pausen, in denen ich einfallen hätte können. Die ersten paar mal habe ich mich wieder nicht überwunden. Aber dieses Mal ist soetwas, wie Wut bei mir mitgeschwungen, dass ich es ständig vor mir herschiebe. Und irgendwann hat es mir endgültig gereicht. Als wieder eine Gesprächspause eintrat, nahm ich alles, was ich an Mut hatte, zusammen, und sagte: "So, jetzt muss ich mal das Thema wechseln. Und zwar hätte ich mit euch was zu besprechen. Ich möchte von daheim ausziehen." Als ich erst mal das Eis mit dem ersten Satz gebrochen hatte, habe ich bei den anderen zwei Sätzen nur noch Funktioniert. Diese sätze kamen einfach ohne Hämmungen über meine Lippen. Meine Eltern Stimmten mir sofort zu. Aber so, wie ich gerade noch funktioniert hatte, musste ich auf einmal aber auch mit meinen Emotionen kämpfen und tat mich schwer weiterzureden: "Ich bin jetzt 25, habe vor drei Jahren meine Ausbildung abgeschlossen, bin seitdem Geselle, bekomme entsprechend Lohn und will jetzt endlich mal auf eigenen Füßen stehen." In dem Moment habe ich meinen Vater angesehen und er hat nur mit dem Kopf genickt. Ich kann euch nicht mehr den ganzen Dialog auswendig aufschreiben, aber es war sehr positiv. Ein paar von den ersten Fragen meiner Eltern, habe ich nicht als erstes erwartet. Meine Mutter fragte mich ziemlich früh, ob mein "Freund" schon davon wüsste. Das habe ich mit nein beantwortet.
Er wird es frühestens erfahren, wenn ich den Mietvertrag unterschrieben habe. Einfach, weil ich mir Fragen von ihm erspare, die ich nicht unbedingt gefragt werden möchte. Und außerdem kann er auch nichts für sich behalten und muss alles immer sofort seiner Mutter erzählen. Und die kenne ich nicht erst seit gestern. Das habe ich schon vor Jahren geschnallt, dass sie mich dazu einspannen will, dass er mal etwas aus seinen vier Wänden kommt. Aber mal ehrlich, seine Interessen sind halt mal nicht mehr meine Interessen, ich gehe halt mal nicht mehr gerne in den Zoo. Der Reiz mag als Kind da gewesen sein, aber das bockt mich überhaupt nicht. Und ich kann mir bei seiner Mutter vorstellen, dass sie ihren Sohn mit mir gerne in einer WG sehen würde. Das wäre doch die Chance dass ihr verwöhnter Fratz mal etwas selbstständiger wird. Denkste! Weil er es nicht schnallt, soll ich für ihn dann die Ganze Zeit die Formalitäten, etc. machen, oder was? Sorry, ich helfe ja gerne, bin in der Vergangenheit schon oft genug entgegengekommen, aber das kommt für mich nun wirklich nicht in die Tüte, dass ich bei ihm das aufhole, was seine Eltern versäumt haben. Ich will mein eigenes Leben leben und muss sehen, dass ich mein eigenes Leben erst mal auf die Reihe bekomme und endlich das Leben so lebe, dass ich wieder zufrieden sein kann und nicht ständig am Grübeln bin, das macht nämlich auf Dauer krank!
Meine Eltern haben die gleiche Ansicht, wie ich, was ihn betrifft.
Nun ja, von meinen Eltern sind dann auch noch lauter belanglose Antworten gekommen, mit denen ich nicht so früh gerechnet hätte. Meine Mutter hat dann noch gemeint, dass ich doch rechtzeitig bescheid geben soll, wenn ich zum Essen vorbeikommen würde, damit auch genug da ist
. Natürlich sind auch wichtige Fragen gefallen, wie "Was hast du dir vorgestellt, wann du ausziehen willst? Was für eine Wohnung hast du dir vorgestellt? Wie ist der stand, hast du dich schon Informiert? In welche Gegend willst du ziehen?" Es war wirklich ein gutes, positives Gespräch. So, wie ich es mir erträumt habe. Aber, ich habe mir auch Horrorszenarien ausgemalt gehabt. Es hat alles, wie eine Handbremse gewirkt. Meine Eltern haben mich sogar gefragt, ob sie mir helfen dürfen, bei der Wohnungssuche oder ob ich das alles alleine Managen will. Das habe ich irgendwie gar nicht erwartet. Natürlich dürfen sie helfen, ich bin froh darüber.
Und natürlich sind wir auch auf meine Schwester zu sprechen gekommen, die gleich nach ihrer Ausbildung ausgezogen ist. Und was meine Eltern an die Vernunft appeliert haben, dass sie wenigstens ein Jahr noch da bleibt und alles ruhig angehen lässt. Sie hat nichts durchgeplant, hat rein nach Emotion entschieden. Wenn meine Eltern nicht so hartnäckig gewesen wären und ihr mal ein paar Tackte gesagt hätten, worauf es Ankommt, wenn man eigenständig ist, würde sie jetzt wunderbar in der Scheiße sitzen, da bin ich mir sicher. Da hat mein Vater gemeint, dass er mir nichts erzählen bräuchte, da ich das schon eher schnalle
. Das war einfach wunderbar wieder mal zu hören, was er für ein Vertrauen in mich hat. Es kam die letzten Jahre viel zu selten zur Sprache. Gerade letztes Jahr, wurde eigentlich nur auf meine Schwester geschimpft, vorallem weil sie nur das schwache Gegenargument "Die anderen schaffen das doch auch" brachte, aber nicht erklären konnte, wie sie es schaffen will. Und sie wollte sich auch nichts sagen lassen. Mir ist sie vorgekommen als, wenn sie sich super-schlau Vorkommt, weil sie als einzige von uns Abitur hat.
Über finanzielle Sachen haben wir gar nicht geredet, obwohl wir das eigentlich noch müssten. Aber das hat ja noch Zeit. Ist ja nicht so, dass ich gleich weg wäre. Und wenn schon, bin ich auch nicht aus der Welt. Ich möchte unbedingt in meiner Heimatstadt bleiben. Es ist so schön dort. Ich bin diese Woche nach Feierabend mal durch eine andere Gemeinde gefahren, wo ne interessante Wohnung leer steht. Ja, da ist es auch schön, ohne Frage. Aber als ich in meine Heimatstadt wieder gekommen bin, habe ich sofort gemerkt, dass ich hier hin gehöre und dass ich nirgens wo anders zurzeit wohnen möchte. Lieber lasse ich mir etwas Zeit und finde in meiner kleinen Stadt ne interessante Wohnung und fühle mich wohl. Ich finde es inzwischen quatsch, dass ich jetzt demnächst alles hinter mich bringen muss. Ich mach das jetzt alles in Ruhe und in aller Gelassenheit, ich will mir keinen Druck mehr machen, den habe ich mir schon zu genüge gemacht, bevor ich meinen Eltern was gesagt habe. Eigentlich hatte ich auch vor eine große Reise nach Norddeutschland zu machen. Die werde ich wahrscheinlich ausfallen lassen, damit ich mehr Zeit für meinen Umzug habe. Gibt es halt einen Kurztrip zu den Alpen. Innerhalb drei Stunden bin ich da. Dort ist es doch auch schön. Wenn nicht sogar schöner (Geschmackssache
) Ich habe erkannt, dass ich Druck rausnehmen muss. Es ist einfach zu viel gewesen, was ich mir für die nächsten Monate vorgenommen habe. Ich fokussiere mich hauptsächlich auf den Umzug und alles Andere kommt danach. Eins nach dem anderen. Mein Vater hat mir auch dazu geraten, dass ich mir keinen Druck machen soll, ich könne solange hier wohnen, solange ich wolle. An meinen Eltern werde es nicht scheitern.
Er hat dann auch noch nach dem Haus gefragt, was daraus mal werden solle, ob ich daran Intersse hätte. Die frage kam mir zu früh. Ich bin froh, wenn ich erst mal auf eigenen Füßen stehe. Über soetwas habe ich noch gar nicht nachgedacht. Außerdem hätte ich mal gesagt, dass ich mich nicht binden wolle (er hat darauf abgezielt, dass das Haus für eine Person eh zu groß wäre). Da habe ich ihn mal upgedatet: "Das habe ich vielleicht in einem Alter von 12 oder 13 Jahren gesagt. Inzwischen denke ich mir, man solle niemals nie sagen." Da hat er nur den Daumen gehoben. Und gemeint, dass er in seiner Schulzeit auch immer so dachte. Aber wenn er in die Zeit zurückversetzt werden würde, würde er alles wieder genauso machen. Heiraten, Kinder bekommen. Er hat gesagt, dass es für ihn nichts schöneres gebe, auch wenn es anstrengend sein kann. Damit habe ich gleich das zweite Tabu gebrochen, das ich gegenüber meinen Eltern vor Jahren auferlegt habe. In dem Moment war mir alles so egal, nachdem ich es geschafft habe, das Eis zu brechen. Es war schon lange mal Zeit mit meinen Eltern offen und ehrlich zu reden und nicht immer nur im Hamsterrad des Alltags sich aufzuhalten.
Ich finde die Reaktion meiner Eltern einfach nur Genial. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich so eine offene Reaktion zumindest nicht sofort erwartet hätte. Ich habe meine Eltern gnadenlos unterschätzt. Bei der Besprechung waren viele Emotionen im Spiel. Ich habe mich anstrengen müssen mich zurückzuhalten. Normalerweise ist mein Vater nahe am Wasser gebaut, wenn es um eine rührende Szene im Fernsehen geht, sei sie auch noch so schlecht geschauspielert
. Diesmal haben wir die Rollen getauscht. Ich hatte den Eindruck, dass ich dieses Mal näher am Wasser gebaut war wie meine Eltern. Vorallem als mein Vater auch noch anfing, dass er stolz auf mich und meine Schwester wären, wie wir unsere eigenen Wege gehen. Und als ich am Nachmittag in meinem Zimmer war konnte ich nicht mehr anders, wie meinen Emotionen freien lauf lassen. Mir ist eine riesen Last abgefallen, die ich selber wahrscheinlich unterschätzt habe. Und ich habe die neue Erkenntnis bekommen, dass ich mit meinen Eltern offener sein muss (und in der Vergangenheit hätte sein müssen). Irgendwie habe ich mich schon immer allgemein verschlossen, hat sich inzwischen etwas gelegt. Aber meinen Eltern gegenüber hat sich einfach nichts getan gehabt. Mir sind auf einmal Sätze aus der Kindheit wieder in Erinnerung gekommen, wie: "Dann sag' halt, wenn dir was weh tut!"
Da habe ich gedacht, dass ich ein offener Mensch bin und dann komm ich zur erkenntnis, dass ich meinen Eltern gegenüber noch viel Arbeit vor mir habe, was Offenheit angeht. Mich würde schon interssieren wo das herrührt. Aber ich habe keinen Bock, wieder die große Vergangenheitsanalyse zu machen, weil ich weiß, dass das Gegrüble für mich nicht mehr gesund ist. Für mich ist es besser, wenn ich nach vorne sehe und an mir arbeite.
Tja, das Feedback habe ich erst heute geschafft zu posten, weil es einfach drunter und drüber ging. Am Sonntag Nachmittag, emotional. Und auch die drei Nächte darauf noch. Ich konnte schlecht schlafen, weil es in meinem Kopf arbeitete. Entsprechend müde war ich. In meiner Arbeit ist jetzt wieder viel los, dazu kommt, dass ich mich zur Arbeit bloß schlecht motivieren konnte, weil meine Gedanken woanders waren. Das ist diese Woche eine Situation gewesen, wo es mir schwer gefallen ist, Privates vom Beruflichen zu trennen. Hätte ich mir auch nicht träumen lassen, dass mir mal sowas passiert
. Emotional war innerhalb von 48 Stunden die ganze Bandbreite vertreten. Erst die große freude bis hin zur großen Betrübtheit, weil eine schöne Wohnung weggegangen ist.
Es war einfach eine häftige Woche für mich. Jetzt will ich dieses Wochenende erst mal ausspannen und einfach die Situation genießen, keinen inneren Druck mehr zu haben. Mir reicht es schon, dass ich heute noch helfen soll, das alte Zimmer meiner Schwester entgültig auszuräumen.
Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.
Cicely Saunders
One time I need to be honest
To find out what matters
Because being alive
Is more than just breathing
Me and Reas - More than just breathing