Le Chiffre Zéro hat geschrieben: ↑04 Nov 2008 22:09
Da muß ich euch eine Geschichte erzählen, eine Situation, für die ich mich heute ohrfeigen könnte. Wahrscheinlich würdet ihr beim Ohrfeigen sogar mitmachen.
Ein Freitag im Frühjahr 2006. Die Sonne schien, es war schon warm genug für kurze Ärmel, also perfektes Wetter für den Auftakt des Hamburger Hafengeburtstags. Ich hatte auf Finkenwerder gerade erfolgreich die Einlaufparade fotografisch festgehalten und war in den Imbiß direkt am Fähranleger eingekehrt, um so etwas wie ein Mittagessen nachzuholen. Ich saß an einem Tisch ganz hinten in der Ecke, als draußen eine Frau vorbeilief, so eine Frau dürfte es gar nicht geben, jedenfalls nicht in der Situation. Die war wirklich unwirklich. Etwa 1,70 m groß. Sehr lange glatte naturblonde Haare. Heller Teint, der mit ihrem roten Lippenstift einen starken Kontrast bildete (siehe auch den Thread über die Farbe Rot), ansonsten kein Make-up. Süßes, fast engelsgleiches Gesicht. Sie trug ein Kostüm aus Jackett (offen getragen) und Minirock, irgendwo zwischen grün und grau, dazu ein einfaches schwarzes Shirt und simple schwarze Pumps. So wirklich business-/karrieremäßig kam sie mir trotzdem nicht vor; soweit ich mich erinnern kann, hatte sie nicht einmal eine Handtasche bei sich, geschweige denn etwas Größeres. Wer weiß, vielleicht kam sie von einem Vorstellungsgespräch oder so. Jedenfalls sah sie unglaublich aus. So eine Frau kann man, zumindest unsereins, nur auf ein Podest erheben. Rein vom Aussehen und vom Stil her spielte sie gleich mehrere Dutzend Ligen über mir.
Und genau diese Frau lief draußen vorbei Richtung Anleger. Hielt aber noch vor dem Gebäude inne, drehte sich um und blickte durch die Verglasung hinein. Ich meine, mich sogar erinnern zu können, daß sie in meine Richtung sah, obwohl ich von draußen an meinem Platz nur schwerlich auszumachen war. Sie lief ein paar Schritte zurück. Natürlich fiel sie mir auf, aber fiel ich ihr auf? Nahm sie gar Notiz davon, daß ich zurücksah?
Einige Sekunden später setzte sie ihren Weg fort, ging aber nur ein paar Meter und blieb dann am oberen Ende der Brücke zum Anleger stehen.
Ein paar Minuten später verließ ich den Laden, und sie drehte sich in meine Richtung um. Möglicherweise sogar mehrmals. Es kam mir schon so vor, als hätte ich tatsächlich ihr Interesse geweckt. Also wurde ich für meine Verhältnisse mutig und stellte mich praktisch direkt neben sie, gerade mal mit genug Platz für einen schiebenden Radfahrer zwischen uns. Es war ihr nicht unangenehm, obwohl ich auch sonstwo hätte stehen können. Mein Fehler: Ich habe kein Sterbenswörtchen gesagt, nicht einmal gelächelt (sie übrigens auch nicht, vielleicht war sie schüchtern). Noch größerer Fehler: Um meinen Verstand zu betäuben, um nicht seiner verlustig zu gehen, hatte ich meinen iPod laufen und Kopfhörer auf. Nicht penetrant laut, ich bevorzuge moderate Lautstärken, aber die bloße Anwesenheit des Kopfhörers hemmte ein eventuelles Gespräch ja schon. Wir hätten gar nicht verbal kommunizieren können. Der korrekte Weg wäre nun gewesen, den iPod demonstrativ abzustellen, den Kopfhörer abzunehmen und ihr dabei ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken, aber nicht zu auffällig. Vielleicht sogar zu lächeln, auf daß sie zurücklächle. Tja.
Noch wußte ich nicht, was sie am Anleger überhaupt wollte. Vielleicht wartete sie auf ihren Freund. Ich meine, einer der ersten Gedanken eines MAB beim Anblick so einer Frau ist doch, daß die unmöglich solo sein kann. Als sich dann aber eine Fähre näherte, mit der ich in die Innenstadt fahren wollte, setzte auch sie sich Richtung Ponton in Bewegung. Auch sie hatte vor, mit der Fähre zu fahren. Aus der Masse der wartenden Passagiere stach sie regelrecht heraus.
Wir fuhren also mit demselben Schiff. Sie hatte es irgendwie geschafft, einen Sitzplatz zu finden, ich zog es vor zu stehen. Und wir waren beide drinnen, weil es auf dem Aussichtsdeck bei dem Wetter einfach zu voll war. (Na ja, und ich war drinnen, weil sie drinnen war...) Übrigens saß sie so, daß ich sie sehen konnte – und sie mich auch.
Natürlich blieb es nicht bei der Fähre. Von der Station Landungsbrücken, an der wir beide ausstiegen (und praktisch alle anderen Passagiere außer uns), verkehren je nach Tageszeit zwei bis drei S-Bahn-Linien, eine Buslinie und eine Hochbahnlinie. Alle in zwei Richtungen. Ich beschloß, die Hochbahn zu nehmen (U3). Das ist zwar der langsamste schienengebundene Weg in die Innenstadt, aber auch der schönste. Natürlich nahm auch sie dieselbe Linie in dieselbe Richtung. Obendrein nahm sie denselben Weg auf den Bahnsteig wie ich. Auf der Treppe nach oben lief sie direkt vor mir, ich hatte ihre makellosen Waden direkt vor Augen. Wir nahmen natürlich denselben Zug – und denselben Wagen. Ich stand an einer Tür, sie saß eine Sitzgruppe weiter hinten. Ich meine, selbst dann sah sie mich ab und zu noch an.
Unter normalen Umständen wäre ich am Rathaus ausgestiegen und das Stück zum Hauptbahnhof zu Fuß gegangen. Dieses Mal blieb ich aber bis zum Hauptbahnhof in der Bahn. Und hätte ich nicht noch nach Hause und einkaufen gemußt, wäre ich wahrscheinlich in der Bahn geblieben, bis auch sie ausgestiegen wäre.
Aber mindestens genauso wahrscheinlich hätte ich sie trotzdem nie angesprochen. Statt dessen hätte ich sie beobachtet, wie sie entweder zu Fuß oder mit dem Bus die Haltestelle verlassen hätte, und wäre nach Hause gefahren. Heute, zweieinhalb Jahre später, geistert sie mir immer noch im Kopf herum.
Guter Rat an meine Mit-MABs: Macht das nie! Wenn euch so eine Chance auf einem Silbertablett präsentiert wird, ergreift sie!