Galip,
deine Gedanken zur Liebe gefallen mir. Alles kann ich nicht nach vollziehen und ich denke auch anders. Vielleicht liegt es daran. Bei mir ist die Liebe keine Idee, kein abstrakter Begriff, sondern eine komplexe Emotion und ein Geschehen zwischen Menschen.
Ich schreib mal ein Wenig von meinem Konzept hier dazu, weil ich deine Darstellung anregend finde. Das wo wir zu unterschiedlichen Aussagen kommen, will ich nicht als Widerspruch auffassen, sondern als Ausdruck der Meinungsvielfalt. Es ist auch Ergebnis dessen, dass es einfach viele Perspektiven gibt, das Thema anzusehen.
Galip hat geschrieben: ↑10 Nov 2018 22:34
Für mich ist Liebe eine Idee, ein Konzept, ein Prinzip. So wie besipielweise auch Freiheit, Gerechtigkeit, Schönheit, Unendlichkeit, und dergleichen mehr. Das faszinierende an diesen Ideen ist, dass sie inhährent unkonkret sind, aber trotzdem (fast) jeder eine Vorstellung davon hat, was sie bedeuten, und dass diese Vorstellungen häufig große Überschneidungen aufweisen.
In mir gibt es die Idee der romantischen Liebe als bedingungsloser wechselseitiger Zuneigung, vollem gegenseitigen Vertrauen, intuitivem wortlosen gemeinsamen Verständnisses, und einer totalen Aufopferungsbereitschaft, die trotz ihrer Absolutheit nichts mit Selbstverleugnung zu tun hat. Im Gegensatz zu manch anderen Leuten halte ich weder völlige Harmonie und Übereinstimmung, noch zeitliche Unbeschränktheit für konstituierende Elemente der Liebe.
Bedingungslose Zuneigung und Aufopferungsbereitschaft habe ich sowohl von anderen erfahren, als auch anderen entgegengebracht (Familie, Freunde). Ein intuitives gemeinsames Verständnis habe ich schon mit verschiedenen Personen gespürt, was auch immer sofort eine tiefe Zuneigung zu der betreffenden Person in mir geweckt hat - aber dieses Verständnis war immer auf bestimmte spezifische Gemeinsamkeiten (v.a. aufgrund gemeinsamer Erfahrungen) beschränkt. Wieviel Vertrauen man mir tatsächlich entgegenbringt, fällt mir allerdings schwer zu beurteilen, da mein eigenes Vertrauen in andere tief gestört ist.
Also verwendet meine Offenheit bitte nicht gegen mich.
Bedingungslosigkeit bzw. Bedingtheit ist auf mehreren Ebenen relevant. In der Betrachtungsweise, wo Liebe eine komplexe Emotion und ein zwischenmenschliches Geschehen ist, braucht sie gute Bedingungen, um entstehen und gedeihen zu können. Hier sehe ich sie nicht als bedingungslos an.
Wenn beispielsweise eine Partnerin und ich Liebe leben, bringen wir das ein, was wir dabei brauchen - eher in Form von Wünschen, aber auch bei Eckpunkten der Beziehungsdefinition in der Form von Bedingungen. Wenn ich meine Grenzen kenne und sage zum Beispiel, ich will mit ihr eine sexuell ausschliessliche Beziehung leben, und offene Beziehung oder Affäre will ich nicht, dann ist das eine Bedingung. Wenn wir uns nicht einigen, lösen wir uns wieder liebevoll, wenn wir uns doch einigen, leben wir Beziehung. Diese würde ich aber schon, vorausgesetzt sie gedeiht, als gelebte Liebe bezeichnen. Widerspricht das dem Anspruch auf Bedingungslosigkeit? Ich weiss nicht.
In der weiteren Folge bringen wir immer wieder unsere Bedürfnisse ein, aber in einer anderen Form. Wir schauen gemeinsam und gleichzeitig jeder für sich, wie wir die Beziehung gestalten, so dass es beiden gut geht. Damit schaffen wir gute Bedingungen. Ob das dem Anspruch auf Bedingungslosigkeit widerspricht, weiss ich auch nicht.
Übrigens braucht es für diese gemeinsamen Aufgaben durchaus Gespräche. Wortlos geht es wohl nicht.
Was ich persönlich mir nicht vorstellen kann, das sind Beziehungen, die sozusagen kaufmännisch funktionieren. Die Partner bieten und verlangen fortlaufend die Beiträge zur Beziehung und rechnen ab. dabei entstehen Bedingungen, die man einander stellt. So würde ich Beziehung nicht leben wollen. Das würde ich nicht als gelebte Liebe sehen.
Das Vertrauen hängt für mich mit durchaus mit den Bedingungen zusammen. Von einem Anspruch der vollständigen Bedingungslosigkeit könnte ich mich überfordert und entmutigt fühlen.
Die Aussicht, dass ich vorerst gemeinsam mit meiner Partnerin überprüfe, ob wir gute Bedingungen für unsere entstehende Liebe haben, stimmt mich zuversichtlich. Und der Gedanke, dann gemeinsam mit ihr fortlaufend für gute Bedingungen zu sorgen, gibt mir Vertrauen. Das schöne daran ist, dass wir nicht perfekt sein müssen, sondern gemeinsam lernen können.
Vertrauen entsteht beim Tun. So wie Liebe dadurch entsteht, dass sie gelebt wird.