Tintenmalerin hat geschrieben: ↑30 Aug 2018 16:08
Sinnsucher hat geschrieben: ↑20 Aug 2018 20:57Ich glaube uns geht es ums gleiche.
Für mich hat "Eigenverantwortung" bisher nie die Dramatik vermittelt die eine Situation wie meine (zunehmende psychosomatische Eskalation) hatte. Der Begriff Eigenverantwortung wird in meinem Umfeld so inflationär gebraucht, dass ich nie realisiert habe, was er konsequent betrachtet bedeutet.
Und "Schuld" vermittelt diese Dramatik? Oder noch ein ganz anderes Wort?
Ich bin ganz bei dir: Auch mir gefällt das "Schuld"-Framing ganz und gar nicht! Es vermittelt eine moralische Schwäche, eine erniedrigende Minderwertigkeit, Scham und Unzulänglichkeit.
Ich habe deswegen auch nicht von Schuld gesprochen, sondern von "fahrlässiger Unterlassung der Selbstfürsorge". Stimmt, es klingt zu stark nach Straftat. Und das trägt unnötig dazu bei, sich für das was nicht gut gelaufen ist auch noch runter zu machen.
Mir ging es darum aufzuzeigen, wie unsere Standards bei anderen uns anvertrauten Menschen wesentlich höher sind als bei uns selbst. Als Erwachsene sind wir und unser Wohl uns selbst anvertraut. Wenn sich jemand selbst zugrunde richtet, oder sich selbst grob vernachlässigt, dann wird das zu einem viel größeren Maß hingenommen, als wenn das anderen gegenüber geschieht.
Auf diese Assyemetrie wollte ich mit meiner drastischen Wortwahl hinweisen.
Tintenmalerin hat geschrieben: ↑30 Aug 2018 16:08
Wie würdest du denn (anhand von konkreten Beispielen) eigenverantwortliches vs. nicht eigenverantwortliches Handeln beschreiben? (Vor allem wenn man das Selbstbezichtigen weglässt...)
Für mich gehört definitiv dazu, sich eigene Gedanken zu machen. Über sich selbst und seine eigenen Wünsche und Grenzen. Sich nicht danach zu richten, wie "man das macht", sondern seinen eigenen Weg zu finden, egal, wie nahe oder weit weg der davon ist.
Ich zähle eher zu den reflektierteren Menschen. Zumindest wird mir das immer wieder gesagt. Ich habe also relativ (sicher nicht absolut) eigenständige Gedanken. Bei mir hat es aber immer daran gemangelt, den Einsichten Taten folgen zu lassen. Deswegen ist mir bei der Selbstverantwortung immer der Handlungsaspekt wichtig. Unverantwortlich bin ich persönlich da, wo ich trotz besseren Wissens nach kurzfristiger Bequemlichkeit/Eitelkeit/Kleinlichkeit handle, statt so, wie es langfristig für mich gut wäre.
Tintenmalerin hat geschrieben: ↑30 Aug 2018 16:08
Also zum Beispiel nicht den Berufsweg wählen, den die Eltern sich wünschen, sondern den, der einem am meisten zusagt.
Es ist gar nicht so leicht die verinnerlichten Erwartungshaltungen Anderer und die eigenen Ziele auseinanderzudröseln...
Tintenmalerin hat geschrieben: ↑30 Aug 2018 16:08
Ich musste bei deiner Frage aber auch an meine eigene Entwicklung denken.
Ich war früher sehr, sehr schüchtern. Habe mich kaum getraut, anderen in die Augen zu schauen, hatte sehr viel Angst und habe mich so gut es ging unsichtbar gemacht.
Viele dieser Ängste und auch einen großen Teil der Schüchternheit habe ich mittlerweile abgelegt. So weit, dass mir einige Dinge so leicht und selbstverständlich gelingen, dass ich kaum noch verstehe, warum sie mal unvorstellbar schwer für mich waren.
Eine Lösung zu einem Rätsel wirkt im Nachhinein auch oft einfach, trivial, logisch. Man fragt sich warum man nicht früher draufgekommen ist. Davor ist aber alles mächtig kompliziert und unlösbar.
Bei Ängsten & Mut und bei Rätseln & Lösungen ist dazwischen immer ein (emotionaler oder geistiger) Perspektivenwechsel nötig. Rückblickend sagen wir dann ungelenk "Ich hab mich einfach getraut..." oder "Ich bin einfach draufgekommen..." Aber wir mussten irgendwie mal zu diesem Punkt kommen.
Für mich stellt sich da immer die Frage, wie weit es im Bereich des eigenen Wissens oder Willens liegt, den Schritt zu machen.
Tintenmalerin hat geschrieben: ↑30 Aug 2018 16:08
Vor ein paar Jahren hatte ich dann eine Phase, in der ich sehr mit meinem früheren Ich gehadert habe. Es ist doch eigentlich so einfach, das hätte doch auch früher gehen müssen!
Aber nein, ging es eben nicht. Früher war ich noch nicht so weit. Ich musste das erst akzeptieren und nachsichtig mir selbst gegenüber werden. Mir selbst verzeihen.
Und dann konnte ich meine Erfahrungen auch wertschätzen. Ich konnte stolz auf das sein, was ich erreicht hatte. Aus eigener Kraft. Das war eine sehr wertvolle Erkenntnis für mich.
Das ist sicher eine Kerneinsicht. Danke! : )
Mir ist es noch nicht gelungen. Wohl weil ich mich dem Verlustschmerz nicht gewachsen fühle.
Tintenmalerin hat geschrieben: ↑30 Aug 2018 16:08
Beantwortet das mehr oder weniger deine Frage?
Du würdest also sagen, eigenverantwortliches Handeln unterscheidet sich vom nicht eigenverantwortlichen Handeln dadurch, dass man lernt sich zu akzeptieren und Handlungen zu setzen, die dem akzeptierten Ich und nur nachrangig den Erwartungen anderer entsprechen? Oder wäre das zu kurz gegriffen?
LG Sinnsucher