Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

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t385

Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von t385 »

Optimistin hat geschrieben: 02 Aug 2018 09:43 Wie seid ihr in diese Situation gekommen und wie geht ihr damit um? Gibt es Aussicht auf Wiedereingliederung in den 1. Arbeitsmarkt?
Was für Erfahrungen habt ihr mit dem Jobcenter gemacht?
Hat die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung Auswirkung auf eure Psyche? Hat es gar was mit eurem AB Status zu tun?
Physikstudium nach 1,25 Semestern aufgrund von Ängsten und Depression geschmissen. Dann erst einmal das Jobcenter gemieden und all meine Ersparnisse - ca. 25k - aufgebraucht. Als das Geld weg war, bin ich notgedrungen doch zum JC. Dort Maßnahmen und Weiterbildung gemacht. Auf Bewerbungen nur Absagen erhalten. Depression wurde immer schlimmer, Ängste sind noch da. Es wurde dann vereinbart, ich solle mich um meine Gesundheit kümmern. Jetzt ist der Plan: Tagesklinik, danach berufliche Reha und begleitend Verhaltenstherapie. Mit meinen Sachbearbeitern hatte ich bisher Glück, denn die waren immer der Meinung, ich sei doch nicht blöde und das wird schon. Druck gab es noch nie. Da mir diese ganze Situation sehr unangenehm ist, versuche ich, soziale Kontake auf ein Minimum zu reduzieren.
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klecks
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von klecks »

Ich mag mich hier nur zum angeblich großen offenen Stellenmarkt äußern: Meine Erfahrung ist, dass dieser Stellenmarkt bei näherem Hinsehen nur für einen sehr begrenzten Personenkreis überhaupt relevant ist. Spezielle Fachkräfte ..., möglichst jung, mit passendem Zertifikat ... oder auch körperlich sehr Belastbare ...

Ich schreibe aus der Perspektive einer Person, die eine erfüllende freiberufliche Tätigkeit hat, für die sie sehr gut qualifiziert ist, der sich aber nicht als Vollerwerb eignet. Ich suche seit einigen Jahren einen sozialversicherungspflichtigen Teilzeitjob, der zeitlich mit meiner freiberuflichen Tätigkeit vereinbar ist (die meist am Wochenende stattfindet). Es ist wie verhext ... Dabei bin ich studiert, habe mehrere Zusatzausbildungen, man schätzt meine freiberufliche Arbeit, meine Arbeit in einem Minijob, mein ehrenamtliches Engagement sowieso. Aber sobald es um eine "echte" Stelle auf dem 1. Arbeitsmarkt geht: :fluchen2:
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Einfach nur ich »

Bei Lichte betrachtet geht es bei einem Großteil der Harz-IV-Bezieher zunächst überhaupt nicht um einen Job. Ganz andere (multiple) Problemlagen gilt es vorher zu bewältigen, ehe das Thema "Arbeit" überhaupt nachhaltig anstehen kann. Das hat sogar der neue Chef der Bundesagentur für Arbeit erkannt (Respekt!!). Nur, in den Jobcentern vor Ort arbeitet man halt leider anders: gegen die Kunden, nicht kooperativ mit ihnen (Ausnahmen bestätigen die Regel).

Der Zahlenfetischismus der Bundesagentur für Arbeit ist einfach nur krank. So erklärt es sich denn auch, dass man bei Abgabe einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder der Teilnahme an einer dieser legendären Sinnlosmaßnahmen nicht mehr als arbeitslos im Sinne der Statistik gezählt wird, obwohl man weiterhin zu 100 % seine Leistungen nach SGB II bezieht. Merke: Eine Grippewelle senkt die Arbeitslosenquote in Deutschland.
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Montecristo »

Saraj hat geschrieben: 02 Aug 2018 11:35 Arbeitsagentur verhält sich fürchterlich unfreundlich und meiner Meinung nach auch oft menschenunwürdig, sobald es um Grundsicherung geht.
Habe noch nie eine Müde Mark bezogen, habe als WissZeitVG-Sklave aber reichlich Erfahrung mit dem Laden. Es geht nur darum die Leute zu ärgern. Ein Termin wurde auf den ersten Werktag nach Neujahr um 8:30 UHr gelegt. Die Sachbearbeiterin war gar nicht da. Die Kollegin tratschte erstmal eine viertel STunde über ihren Weihnachtsurlaub bevor sie sich herabließ mit mir zu reden. Es geht nur darum Leute zu terrorisieren und runterzuputzen. Hauptsache ein paar Zahlen stimmen.
Im Leben geht es zu 10% um das, was passiert und zu 90% wie wir darauf reagieren.
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Tyralis Fiena »

Wie bin ich da reingeraten? Allein durch Selbstverschulden. Ich hatte mich damals entschieden, mein Studium abzubrechen (mangels Geld und Leistung) und mir damit den ersten Stein zum Abstieg gelegt. Durch meine Ausbildung fand ich zwar noch einen Job, aber auch der war halt nur zeitlich begrenzt. Es wurde nicht verlängert, damit fand ich mich erst beim Amt und später beim Jobcenter wieder. Wirklich geholfen hat es mir nicht. Ich kam damals in die Lage, dass mir das JC eine notwendige Qualifikation ohne Arbeitsvertrag nicht zahlen wollte. Bei den Arbeitgebern (den meisten) war es aber Bedingung, sie innezuhalten, also ohne das gibt es keinen Arbeitsvertrag...

Naja die Vermittlung war auch nie wirklich hilfreich. Erst hatte ich mir einen Nebenjob gesucht, dann bin ich wieder in die Zeitarbeit zurück und seitdem pendle ich so zwischen Zeitarbeit, Aufstockung, Arbeitslosigkeit und Minijob hin und her. Eine Umschulung wurde mir nie gewährt. Ich sei doch qualifiziert, hiess es. Irgendwann später sagte man mir, ich bin nicht mehr qualifiziert bzw. Ungelernt. Aber auf meine Nachfrage, ob ich den nicht wenigstens in die Logistik könnte, kam nur, dass es doch nichts für mich wäre (durch die Blume gesagt, ich wäre angeblich zu schlau).

Depressive Episoden kamen auch hinzu und irgendwann rechnete ich mir durch, was ich wohl noch kosten würde, wieviel ich noch einzahlen könnte, wie es wohl ausgehen könnte usw. Nach meiner Bilanz war ich entschlossen, Suizid zu begehen, stolperte aber über meine endlosen Überlegungen, wie ich den abtreten könnte, ohne dass es andere , also die Familie, übermässig betreffen könnte. Naja offensichtlich tat ich es nicht. Mir war dafür alles zu gleichgültig geworden.

Einige Zeit später ging es wieder in die oben erwähnte Spirale zurück und ein Ende ist nicht in Sicht. Eine feste Aussicht auf Wiedereingliederung auf den 1. Arbeitsmarkt gibt es für mich nicht. Die 4 bei meinem Lebensalter rollt in absehbarer Zeit heran, ich bin ungelernt und habe kaum Mittel, um mich auf eigene Faust zu qualifizieren. Bewerbungen auf Ausbildungsplätze werden mit Absagen quittiert und das, was noch gesucht wird wie bspw. Altenpflege oder Gastrobereich, passt nicht zu meiner Eignung. Hilfsarbeiten bleibt als einzige realistische Option übrig, zumindest solange ich nicht auch im ungelernten Bereich für die Arbeitgeber irgendwann zu alt bin.

An Umgang bin ich schon einiges gewohnt, wurde dort zuweilen auch schon herablassend behandelt und hatte mir mal eine Sanktion dafür eingefangen, weil ich im Minijob, von dem sie wussten, arbeiten war und deshalb nicht ein Vorstellungsgespräch bei einem Zeitarbeitsunternehmen wahrnehmen konnte. Der Disponent hatte mich dafür am Telefon schön beleidigt und danach beim Jobcenter angerufen. Egal... ich habe es wie üblich geschluckt. Das überall schriftlich mit Sanktionen gedroht wird, wenn man dies und das nicht macht, nehme ich schon nicht mehr wahr.

Der Kontakt dahin ist eh reduziert und ich versuche mich, so durchzuschlagen. Nur realistisch betrachtet bin ich halt nicht wirtschaftlich verwertbar. Die Bundesagentur selbst gab erst wieder bekannt, dass es keinen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt (für den Fall, ich würde aus puren Glück doch zu einer Ausbildung gelangen). Die Konsequenz müsste eigentlich sein, dass man mich aussteuert oder man vermittelt mich in den kommenden "sozialen" Arbeitsmarkt - auch wenn ich die Voraussetzungen über die Länge der Erwerbslosigkeit nicht erfülle.

Was hat das mit meinem AB-Sein zu tun? Nun ich brauche unter den Gegebenheiten mich nirgendswo blicken lassen. Ich will niemanden damit reinziehen. Mittel zum Weggehen sind halt nicht da und alles Soziale ist für mich schlicht irrelevant, solange der Punkt Arbeit nicht gelöst wurde bzw. solange ich keinen Platz im Leben habe. Ich hätte damals andere Entscheidungen treffen und auch einiges anders machen sollen. Hab ich aber nicht und nun muss ich halt mit den Folgen klarkommen.
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Strange Lady »

Tyralis Fiena hat geschrieben: 02 Aug 2018 18:39 Wie bin ich da reingeraten? Allein durch Selbstverschulden. Ich hatte mich damals entschieden, mein Studium abzubrechen (mangels Geld und Leistung) und mir damit den ersten Stein zum Abstieg gelegt. Durch meine Ausbildung fand ich zwar noch einen Job, aber auch der war halt nur zeitlich begrenzt. Es wurde nicht verlängert, damit fand ich mich erst beim Amt und später beim Jobcenter wieder. Wirklich geholfen hat es mir nicht. Ich kam damals in die Lage, dass mir das JC eine notwendige Qualifikation ohne Arbeitsvertrag nicht zahlen wollte. Bei den Arbeitgebern (den meisten) war es aber Bedingung, sie innezuhalten, also ohne das gibt es keinen Arbeitsvertrag...

Naja die Vermittlung war auch nie wirklich hilfreich. Erst hatte ich mir einen Nebenjob gesucht, dann bin ich wieder in die Zeitarbeit zurück und seitdem pendle ich so zwischen Zeitarbeit, Aufstockung, Arbeitslosigkeit und Minijob hin und her. Eine Umschulung wurde mir nie gewährt. Ich sei doch qualifiziert, hiess es. Irgendwann später sagte man mir, ich bin nicht mehr qualifiziert bzw. Ungelernt. Aber auf meine Nachfrage, ob ich den nicht wenigstens in die Logistik könnte, kam nur, dass es doch nichts für mich wäre (durch die Blume gesagt, ich wäre angeblich zu schlau).

Depressive Episoden kamen auch hinzu und irgendwann rechnete ich mir durch, was ich wohl noch kosten würde, wieviel ich noch einzahlen könnte, wie es wohl ausgehen könnte usw. Nach meiner Bilanz war ich entschlossen, Suizid zu begehen, stolperte aber über meine endlosen Überlegungen, wie ich den abtreten könnte, ohne dass es andere , also die Familie, übermässig betreffen könnte. Naja offensichtlich tat ich es nicht. Mir war dafür alles zu gleichgültig geworden.

Einige Zeit später ging es wieder in die oben erwähnte Spirale zurück und ein Ende ist nicht in Sicht. Eine feste Aussicht auf Wiedereingliederung auf den 1. Arbeitsmarkt gibt es für mich nicht. Die 4 bei meinem Lebensalter rollt in absehbarer Zeit heran, ich bin ungelernt und habe kaum Mittel, um mich auf eigene Faust zu qualifizieren. Bewerbungen auf Ausbildungsplätze werden mit Absagen quittiert und das, was noch gesucht wird wie bspw. Altenpflege oder Gastrobereich, passt nicht zu meiner Eignung. Hilfsarbeiten bleibt als einzige realistische Option übrig, zumindest solange ich nicht auch im ungelernten Bereich für die Arbeitgeber irgendwann zu alt bin.

An Umgang bin ich schon einiges gewohnt, wurde dort zuweilen auch schon herablassend behandelt und hatte mir mal eine Sanktion dafür eingefangen, weil ich im Minijob, von dem sie wussten, arbeiten war und deshalb nicht ein Vorstellungsgespräch bei einem Zeitarbeitsunternehmen wahrnehmen konnte. Der Disponent hatte mich dafür am Telefon schön beleidigt und danach beim Jobcenter angerufen. Egal... ich habe es wie üblich geschluckt. Das überall schriftlich mit Sanktionen gedroht wird, wenn man dies und das nicht macht, nehme ich schon nicht mehr wahr.

Der Kontakt dahin ist eh reduziert und ich versuche mich, so durchzuschlagen. Nur realistisch betrachtet bin ich halt nicht wirtschaftlich verwertbar. Die Bundesagentur selbst gab erst wieder bekannt, dass es keinen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt (für den Fall, ich würde aus puren Glück doch zu einer Ausbildung gelangen). Die Konsequenz müsste eigentlich sein, dass man mich aussteuert oder man vermittelt mich in den kommenden "sozialen" Arbeitsmarkt - auch wenn ich die Voraussetzungen über die Länge der Erwerbslosigkeit nicht erfülle.

Was hat das mit meinem AB-Sein zu tun? Nun ich brauche unter den Gegebenheiten mich nirgendswo blicken lassen. Ich will niemanden damit reinziehen. Mittel zum Weggehen sind halt nicht da und alles Soziale ist für mich schlicht irrelevant, solange der Punkt Arbeit nicht gelöst wurde bzw. solange ich keinen Platz im Leben habe. Ich hätte damals andere Entscheidungen treffen und auch einiges anders machen sollen. Hab ich aber nicht und nun muss ich halt mit den Folgen klarkommen.

Ich finde das sehr hart, wie du mit dir selbst ins Gericht gehst. Oftmals schreibt das Leben die Seiten, nicht wir. Es ist keine Schande, keine Karriere oder wenig Geld zu haben. Jeder Mensch hat einen leistungsunabhängigen Eigenwert und ein Recht auf ein Leben in Gemeinschaft, ganz gleich, wie seine Lebensverhältnisse aussehen. Auch ein Obdachloser hat das Bedürfnis nach zwischenmenschlichem Miteinander und Eingebundensein.
Ich selbst muss mir das immer wieder vergegenwärtigen. Auch bei mir finden sich Scham und GEfühle des Unzumutbarseins im Kern meiner Beziehungsunfähigkeit. Und ich habe einen relativ okayen Beruf und auch ein gewisses standing. Will sagen: die Wurzel des Übels liegt nicht in deinem nichtlinearen Berufsweg, sondern in deiner Selbstverachtung und deiner Scham und darin, dass du dir dein vermeintliches Scheitern nicht verzeihen kannst.
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Tania »

Strange Lady hat geschrieben: 02 Aug 2018 21:13 Es ist keine Schande, keine Karriere oder wenig Geld zu haben. Jeder Mensch hat einen leistungsunabhängigen Eigenwert und ein Recht auf ein Leben in Gemeinschaft, ganz gleich, wie seine Lebensverhältnisse aussehen.
Nicht nur der Mensch hat ein Recht auf Leben in der Gemeinschaft - auch die Gemeinschaft profitiert davon, wenn Arbeitslose sich am gemeinschaftlichen Leben beteiligen. Schließlich gibt es einiges mehr als Geld, was man einbringen kann ...
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Logan 5 »

klecks hat geschrieben: 02 Aug 2018 14:32 Ich mag mich hier nur zum angeblich großen offenen Stellenmarkt äußern: Meine Erfahrung ist, dass dieser Stellenmarkt bei näherem Hinsehen nur für einen sehr begrenzten Personenkreis überhaupt relevant ist. Spezielle Fachkräfte ..., möglichst jung, mit passendem Zertifikat ... oder auch körperlich sehr Belastbare ...
Da liegst du nicht so falsch mit, denke ich. Diese Aussage habe ich auch sinngemäß erst kürzlich in einem Zeitungsartikel gelesen.
Insbesondere die ungelernten Arbeitssuchenden oder diejenigen mit "falscher" Ausbildung profitieren kaum bis gar nicht vom großen, offenen Stellenmarkt. Und nicht für jeden ist dann ein Job in der Pflege oder als Paketfahrer geeignet.

Zum Glück war ich bisher nur kurz in meinen jungen Jahren arbeitslos. An den extrem demotivierenden Sachbearbeiter kann ich mich noch erinnern. Scheint heute eher schlimmer geworden zu sein. Da freut man sich, jahrzehntelang eine AL-Versicherung zu zahlen, um dann im Falle eines Falles wieder letzte Bittsteller behandelt und gegängelt zu werden.
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Montecristo »

Strange Lady hat geschrieben: 02 Aug 2018 21:13
Tyralis Fiena hat geschrieben: 02 Aug 2018 18:39 Was hat das mit meinem AB-Sein zu tun? Nun ich brauche unter den Gegebenheiten mich nirgendswo blicken lassen.
Ich finde das sehr hart, wie du mit dir selbst ins Gericht gehst.
Also aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es sehr sehr schwer ist da gegenzusteuern. Das beruht ja nicht nur auf Einbildung. Weil das Feedback von Frauen eben zum Teil auch sehr krass ist. Es erfordert fast Konfrontationstherapie sich dagegen zu stemmen und bewusst eine Frau zu suchen, die mit der Situation umgehen kann. Irgendwann wird man auch schrittweise paranoid.
Die Arbeitssuche raubt aber auch Energie und fokussiert unheimlich. Partnersuche fällt in dem Moment unter den Tisch. Das geht nicht gleichzeitig.

Und bei mir ist die Situation eigentlich immer luxuriös gewesen. Mit Abschluss und entsprechendem Einkommen.

Als mittlerweile Vergebener kann ich aber auch sagen, dass es eine Beziehung extrem belastet, wenn wieder Arbeitssuche ansteht. Da kann ich retrospektiv die Frauen auch ein bisschen verstehen. Nicht die krasse Reaktion, aber die Bedenken.

An der Stelle kommt man einfach nicht so leicht raus. Bei mir war es eine längere ruhigere Phase, in der es dann geklappt hat.
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Strange Lady »

Tania hat geschrieben: 02 Aug 2018 22:22
Strange Lady hat geschrieben: 02 Aug 2018 21:13 Es ist keine Schande, keine Karriere oder wenig Geld zu haben. Jeder Mensch hat einen leistungsunabhängigen Eigenwert und ein Recht auf ein Leben in Gemeinschaft, ganz gleich, wie seine Lebensverhältnisse aussehen.
Nicht nur der Mensch hat ein Recht auf Leben in der Gemeinschaft - auch die Gemeinschaft profitiert davon, wenn Arbeitslose sich am gemeinschaftlichen Leben beteiligen. Schließlich gibt es einiges mehr als Geld, was man einbringen kann ...
Sehr richtig. Leider sehen das Menschen, die noch nie rausgefallen sind aus sozialen Systemen, nicht so. Manchmal wünschte ich, jeder Mensch würde mal eine Zeitlang krank, arbeitsunfähig oder arbeitslos werden. Einfach um die Erfahrung gemacht zu haben.
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Strange Lady »

Montecristo hat geschrieben: 03 Aug 2018 10:21
Strange Lady hat geschrieben: 02 Aug 2018 21:13
Tyralis Fiena hat geschrieben: 02 Aug 2018 18:39 Was hat das mit meinem AB-Sein zu tun? Nun ich brauche unter den Gegebenheiten mich nirgendswo blicken lassen.
Ich finde das sehr hart, wie du mit dir selbst ins Gericht gehst.
Also aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es sehr sehr schwer ist da gegenzusteuern. Das beruht ja nicht nur auf Einbildung. Weil das Feedback von Frauen eben zum Teil auch sehr krass ist. Es erfordert fast Konfrontationstherapie sich dagegen zu stemmen und bewusst eine Frau zu suchen, die mit der Situation umgehen kann. Irgendwann wird man auch schrittweise paranoid.
Die Arbeitssuche raubt aber auch Energie und fokussiert unheimlich. Partnersuche fällt in dem Moment unter den Tisch. Das geht nicht gleichzeitig.

Und bei mir ist die Situation eigentlich immer luxuriös gewesen. Mit Abschluss und entsprechendem Einkommen.

Als mittlerweile Vergebener kann ich aber auch sagen, dass es eine Beziehung extrem belastet, wenn wieder Arbeitssuche ansteht. Da kann ich retrospektiv die Frauen auch ein bisschen verstehen. Nicht die krasse Reaktion, aber die Bedenken.

An der Stelle kommt man einfach nicht so leicht raus. Bei mir war es eine längere ruhigere Phase, in der es dann geklappt hat.
Ich bin da, als Gastarbeiterkind, ein wenig robuster, glaube ich. Solange man gesund ist, findet man immer was. Zwischen meinen Univerträgen war ich immer auch "branchenfremd" tätig, habe geputzt, Ablage in Büros gemacht, in Läden gejobbt. Hat auch sehr zur Charakterbildung beigetragen.

Arbeit gibt es genug, ist halt leider nur schlecht bezahlt.
Problematisch wird es erst, wenn man sich an ein bestimmtes Berufsbild klammert. Ein guter Kumpel ist promovierter Biochemiker und hat jahrelang nach einer entsprechenden Stelle gesucht. Der wäre fast draufgegangen vor lauter Verzweiflung. Bis er irgendwann seine beruflichen Vorstellungen fahren liess und sich einen Brotjob als Postbote suchte. Jetzt hat er grad sein Hobby zum Beruf gemacht. Verkauft Fahrräder in einem High-End-Profigeschäft.
Irgendwie geht es immer weiter. Einfach nicht zurückschauen!
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von klecks »

Strange Lady hat geschrieben: 02 Aug 2018 21:13

Ich finde das sehr hart, wie du mit dir selbst ins Gericht gehst. Oftmals schreibt das Leben die Seiten, nicht wir. Es ist keine Schande, keine Karriere oder wenig Geld zu haben. Jeder Mensch hat einen leistungsunabhängigen Eigenwert und ein Recht auf ein Leben in Gemeinschaft, ganz gleich, wie seine Lebensverhältnisse aussehen. Auch ein Obdachloser hat das Bedürfnis nach zwischenmenschlichem Miteinander und Eingebundensein.
Ich selbst muss mir das immer wieder vergegenwärtigen. Auch bei mir finden sich Scham und GEfühle des Unzumutbarseins im Kern meiner Beziehungsunfähigkeit. Und ich habe einen relativ okayen Beruf und auch ein gewisses standing. Will sagen: die Wurzel des Übels liegt nicht in deinem nichtlinearen Berufsweg, sondern in deiner Selbstverachtung und deiner Scham und darin, dass du dir dein vermeintliches Scheitern nicht verzeihen kannst.
Ich kann strange lady nur beipflichten. Wir sollten uns gesellschaftlich problematische Entwicklungen nicht als persönliches Versagen anlasten. Aber, auch da pflichte ich Montecristo bei, es ist sehr schwer, das zu schaffen. Es bedarf schon eines sehr starken Selbstbewusstseins, sich in Gemeinschaft zu begeben, wenn man sich manche scheinbar selbstverständliche soziale Konventionen nicht leisten kann: gemeinsam Essen gehen oder ins Kino, Geburtstagsgeschenke etc.

Vielleicht wird einem der Wert von etwas auch erst dadurch bewusst, das er im eigenen Leben fehlt oder verloren geht. Einbindung z.B.
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von klecks »

Strange Lady hat geschrieben: 03 Aug 2018 10:53 Arbeit gibt es genug, ist halt leider nur schlecht bezahlt.
Leider ist da meine Erfahrung inzwischen auch anders. Jedenfalls für mich und meine Suche nach einem Brotjob. In meiner Gegend. Ja, es gibt oder gäbe Arbeit. Du musst für die Jobs aber auch einigermaßen geeignet sein. Ein Minijob lässt sich finden. Aber davon allein kann man nicht leben. Und viele Jobs, für die ich geeignet wäre, werden an mich nicht vergeben, weil ich eben für "Brotjobs" nicht die passenden Zertifikate habe. Oder sie werden nur als Minijobs vergeben ...

Im letzten Jahr hatte ich einen ergänzenden sozialversicherungspflichtigen Brotjob. Aber an ihn waren dann so unheimlich viel verpflichtende Überstunden gebunden, dass ich nach einem halben Jahr gesundheitlich ziemlich angeschlagen die Segel streichen musste (hatte ja noch meine Freiberuflichkeit und einen Minijob ..., und ich bin ja auch noch "amtierende" Mutter).

Ich gehöre zu diesem Personenkreis, deren Sicht auf viele gesellschaftliche Phänomene sich geändert haben, seit sie selbst in den "Genuss" prekärer Situationen kam.
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Tania »

klecks hat geschrieben: 03 Aug 2018 11:34 Es bedarf schon eines sehr starken Selbstbewusstseins, sich in Gemeinschaft zu begeben, wenn man sich manche scheinbar selbstverständliche soziale Konventionen nicht leisten kann: gemeinsam Essen gehen oder ins Kino, Geburtstagsgeschenke etc.
Es bedarf auch einer entsprechenden Haltung der "Gemeinschaft". Für mich ist es z.B. kein Problem, mit einer Gruppe ins Restaurant zu gehen und dann nichts zu bestellen, sondern der Kellnerin zu sagen, dass ich mir die Pizza mit dem Nachbarn teile (der sie dann natürlich trotzdem allein essen darf). Aber dann die Frage "warum isst Du denn nix" zu diskutieren, Ist irgendwie etwas unangenehm. Meist bin ich dann doch lieber auf Diät, als zu sagen "für den Preis dieser Standardpizza kann ich meine Familie den ganzen Tag ernähren". Insofern auch selbst schuld, wenn die Gemeinschaft das Problem nicht wahrnimmt.

Wenn wir tanzen gehen, wundert sich allerdings niemand, wenn ich den ganzen Abend ein sich wundersamerweise immer wieder nachfüllendes Wasserglas umklammerte. Immerhin kann ich so noch fahren ;)
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Clochard »

Da habe ich ja Glück, dass die ganzen teuren sozialen Aktivitäten wie Essen gehen, auf Konzerte, in die Cocktailbar, in die Disco, für mich eh langweilig sind :mrgreen:

Im Sommer hat es sich zum Glück mittlerweile in vielen Städten eingebürgert, dass man mit Kiosk- oder Supermarktbier auf den Platz X gehen und da den ganzen Abend sitzen und mit seinen Leuten quatschen kann. Z. B. Brüsseler Platz in Köln oder Frankenbadplatz in Bonn oder Rheintreppe in Düsseldorf oder Friedberger Platz in Frankfurt. Und kommt mir jetzt nicht mit den armen Anwohnern, die den Lärm ertragen müssen. Wer da wohnt, der kann sich schon mal gar nicht beklagen - kann ja mal auf Immobilienscout24 gucken, was seine Wohnung jetzt da so an Miete kosten würde.
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Polarfuchs »

Tyralis Fiena hat geschrieben: 02 Aug 2018 18:39 Wie bin ich da reingeraten? Allein durch Selbstverschulden. Ich hatte mich damals entschieden, mein Studium abzubrechen (mangels Geld und Leistung) und mir damit den ersten Stein zum Abstieg gelegt. Durch meine Ausbildung fand ich zwar noch einen Job, aber auch der war halt nur zeitlich begrenzt. Es wurde nicht verlängert, damit fand ich mich erst beim Amt und später beim Jobcenter wieder. Wirklich geholfen hat es mir nicht. Ich kam damals in die Lage, dass mir das JC eine notwendige Qualifikation ohne Arbeitsvertrag nicht zahlen wollte. Bei den Arbeitgebern (den meisten) war es aber Bedingung, sie innezuhalten, also ohne das gibt es keinen Arbeitsvertrag...

Naja die Vermittlung war auch nie wirklich hilfreich. Erst hatte ich mir einen Nebenjob gesucht, dann bin ich wieder in die Zeitarbeit zurück und seitdem pendle ich so zwischen Zeitarbeit, Aufstockung, Arbeitslosigkeit und Minijob hin und her. Eine Umschulung wurde mir nie gewährt. Ich sei doch qualifiziert, hiess es. Irgendwann später sagte man mir, ich bin nicht mehr qualifiziert bzw. Ungelernt. Aber auf meine Nachfrage, ob ich den nicht wenigstens in die Logistik könnte, kam nur, dass es doch nichts für mich wäre (durch die Blume gesagt, ich wäre angeblich zu schlau).

Depressive Episoden kamen auch hinzu und irgendwann rechnete ich mir durch, was ich wohl noch kosten würde, wieviel ich noch einzahlen könnte, wie es wohl ausgehen könnte usw. Nach meiner Bilanz war ich entschlossen, Suizid zu begehen, stolperte aber über meine endlosen Überlegungen, wie ich den abtreten könnte, ohne dass es andere , also die Familie, übermässig betreffen könnte. Naja offensichtlich tat ich es nicht. Mir war dafür alles zu gleichgültig geworden.

Einige Zeit später ging es wieder in die oben erwähnte Spirale zurück und ein Ende ist nicht in Sicht. Eine feste Aussicht auf Wiedereingliederung auf den 1. Arbeitsmarkt gibt es für mich nicht. Die 4 bei meinem Lebensalter rollt in absehbarer Zeit heran, ich bin ungelernt und habe kaum Mittel, um mich auf eigene Faust zu qualifizieren. Bewerbungen auf Ausbildungsplätze werden mit Absagen quittiert und das, was noch gesucht wird wie bspw. Altenpflege oder Gastrobereich, passt nicht zu meiner Eignung. Hilfsarbeiten bleibt als einzige realistische Option übrig, zumindest solange ich nicht auch im ungelernten Bereich für die Arbeitgeber irgendwann zu alt bin.

An Umgang bin ich schon einiges gewohnt, wurde dort zuweilen auch schon herablassend behandelt und hatte mir mal eine Sanktion dafür eingefangen, weil ich im Minijob, von dem sie wussten, arbeiten war und deshalb nicht ein Vorstellungsgespräch bei einem Zeitarbeitsunternehmen wahrnehmen konnte. Der Disponent hatte mich dafür am Telefon schön beleidigt und danach beim Jobcenter angerufen. Egal... ich habe es wie üblich geschluckt. Das überall schriftlich mit Sanktionen gedroht wird, wenn man dies und das nicht macht, nehme ich schon nicht mehr wahr.

Der Kontakt dahin ist eh reduziert und ich versuche mich, so durchzuschlagen. Nur realistisch betrachtet bin ich halt nicht wirtschaftlich verwertbar. Die Bundesagentur selbst gab erst wieder bekannt, dass es keinen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt (für den Fall, ich würde aus puren Glück doch zu einer Ausbildung gelangen). Die Konsequenz müsste eigentlich sein, dass man mich aussteuert oder man vermittelt mich in den kommenden "sozialen" Arbeitsmarkt - auch wenn ich die Voraussetzungen über die Länge der Erwerbslosigkeit nicht erfülle.

Was hat das mit meinem AB-Sein zu tun? Nun ich brauche unter den Gegebenheiten mich nirgendswo blicken lassen. Ich will niemanden damit reinziehen. Mittel zum Weggehen sind halt nicht da und alles Soziale ist für mich schlicht irrelevant, solange der Punkt Arbeit nicht gelöst wurde bzw. solange ich keinen Platz im Leben habe. Ich hätte damals andere Entscheidungen treffen und auch einiges anders machen sollen. Hab ich aber nicht und nun muss ich halt mit den Folgen klarkommen.
Du könntest versuchen eine Umschulung aufgrund von gesundheitlichen Problemen zu beantragen. Es dauert sehr lange und ist sehr kompliziert, könnte aber mit der entsprechenden Unterstützung funktionieren.
Kief

Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Kief »

Optimistin hat geschrieben: 02 Aug 2018 09:43 Wie seid ihr in diese Situation gekommen und wie geht ihr damit um? Gibt es Aussicht auf Wiedereingliederung in den 1. Arbeitsmarkt?
Was für Erfahrungen habt ihr mit dem Jobcenter gemacht?
Hat die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung Auswirkung auf eure Psyche? Hat es gar was mit eurem AB Status zu tun?
Ich habe meine Macken und Eigenheiten.
Diese wirken sich auch meine Arbeitsfaehigkeit aus.
[+] Details
Was ein normaler Arbeitgeber mir an Arbeitsplatz bietet, das passt nur zeitweise, wenn ich beispielsweise besondere Belastungen auf mich nehmen muss, um bestimmte Erfahrungen zu sammeln.
Aber langfristig funktioniert das nicht.
Da muesste ein Arbeitgeber schon mehr Aufwand betreiben, um mir einen Arbeitsplatz anzupassen.

Es gab mal einen Arbeitgeber, der sich das auf die Fahnen geschrieben hat, gezielt ein Arbeitsumfeld fuer Autisten anzupassen.
Aber den sozialen Zuendstoff hat er unterschaetzt.
Daraus habe ich geschlussfolgert, dass auch auf der Ebene des Arbeitsplatzes manche Menschen die Moeglichkeit brauchen, sich ihren Arbeitsplatz masszuschneidern.
Daran arbeite ich jetzt.

Zieht sich allerdings ziemlich hin, da es dabei an essentieller Hilfe fehlt, bzw. viele Grundlagen mit solch immensen Huerden aufwarten, dass das aufzubauen alles andere als trivial ist.
Selbst wenn die Zielsetzungen fuer andere banal ist, fuer mich beherbergt das brutale Huerden.
Ich denke da immer an Rollstuhlfahrer, denen man die Schwierigkeiten mit Stufen ansieht - wenn man mentale Huerden nur genauso aufzeigen koennte ...
Summa summarum gehe ich davon aus, dass es keinen tauglichen Job gibt, der mal so eben zu finden ist.
Auch deshalb, weil ich die Situation und Arbeitsweisen der JobCenter in der Konstellation sehr kritisch sehe.
(Die Menschen dort moegen ihre eigenen Probleme haben, und auch von oben ungerechten Druck erfahren, aber aus eigener Not anderen Menschen Unrecht zuzufuegen ist kein brauchbares Alibi. Die JobCenter als Institution sehe ich noch weitaus kritischer.)

Demzufolge bin ich eher rebellisch, als dass das JobCenter meine Psyche beeintraechtigt.
Ist aber auch ein staendiger Kampf, die subtilen Uebergriffe zu erkennen, und dagegen vorzugehen.
Hintergrund: Ich habe schon von einigen gelesen, dass sie für länger von staatlicher Unterstützung leben (müssen) - das würde ich gerne besser verstehen, bei Vollbeschäftigung, vielen unbesetzten Lehrstellen, großem Stellenmarkt in den Zeitungen, online Börsen von monster.de bis XING, Umschulungsmaßnahmen, [ ... ]
Ich hab selber Mal für 7 Monate Hartz4 bekommen, als ich mit dem Studium fertig und auf Jobsuche war. Die Besuche beim Jobcenter waren demütigend und ich hab gejubelt, als ich Arbeit gefunden hatte, nach viel Einsatz und Mühe.
Es ist jederzeit moeglich, eine Stelle zu finden, bei der sich die Arbeit nicht lohnt, und der finanzielle Abstand zum Hartz-IV-Bezug kaum nennenwert ist.
Ist die Frage ob man das will.

Urspruenglich war das rein instinktive Trotzreaktion, inzwischen kann ich noch weitere Gruende nennen.
Wie die gesundheitlichen Konsequenzen.
Oder dass ich damit implizit meine Kritik am System konterkariere.
(Beruehrt also ausdruecklich politische Dimensionen.)
Oder dass ich mit Arbeit keine Kraefte mehr haette, um mich gegen die vorhandenen Ungerechtigkeiten zu wehren, um etwas zu bewirken.
Letzteres finde ich das gesellschaftlich groessere Problem: wenn sich so viele Menschen in ein Hamsterrad begeben, dann haben wir kaum noch Leute, die nennenswerte Energien in sinnvolle Proteste investieren koennen.

Ich moechte nicht warten, bis schlimmere Schaeden entstehen, unser System von selbst kollabiert, und dann irgendwelche Deppen das Ruder in die Hand nehmen, wer halt gerade am Druecker ist.
Ich moechte meine Lebensumstaende mehr selber gestalten.
Und deshalb darauf achten, welcher Einsatz sich fuer mich lohnt.
Nicht nur im finanziellen Resultat, sondern auch im Grad der Veraenderungen, was ich mir damit nachhaltig aufbaue.

Das finde ich nicht in Rendite-gepressten Betrieben im ruinoesen Wettbewerb.


K
Ninja Turtle

Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Ninja Turtle »

Kief hat geschrieben: 08 Aug 2018 21:59 Es ist jederzeit moeglich, eine Stelle zu finden, bei der sich die Arbeit nicht lohnt, und der finanzielle Abstand zum Hartz-IV-Bezug kaum nennenwert ist.
Ist die Frage ob man das will.
Eigentlich ist das ja gerade nicht die Frage. ;)
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Optimistin »

Vielen Dank für all die interessanten Antworten bisher - da sind ja echt Schicksale :sadwoman:
Tania, einen ganz dicken Doppeldaumen hoch für soviel Lebensfreude trotz widriger Umstände :good: Du kannst echt stolz auf deine Lebensleistung sein!

Mir scheint, dass Grundsicherung häufig mit gesundheitlichen Problemen einhergeht, ihr schreibt von z.b. psychischen Beschwerden. Ist zuerst die Krankheit da und dann Hartz 4 oder umgekehrt?

Ich find's traurig, von soviel Entmutigung zu lesen und das Selbstgeißeln finde ich ganz furchtbar :fluchen2: Jeder Mensch hat seine eigene Würde und Wert, unabhängig was er/sie leistet! Leider vermittelt unsere Leistungsgesellschaft eine ganz andere Botschaft. Sich selber dagegen zu immunisieren und mit erhobenem Haupt durchs Leben zu schreiten ist ganz hart und bleibt eine lebenslange Aufgabe. :vielglueck:

Keiner schreibt über die Perspektive, wieder selbstständig für sich Sorgen zu können - fehlt diese im Loch "Grundsicherung" tatsächlich oder ist das persönlichkeitsbedingt, was meint ihr?

Kief, habe ich das richtig verstanden: du bist nicht im 1. Arbeitsmarkt unterwegs, weil du als Autist mit den Bedingungen nicht klarkommst? Hast du das denn an verschiedenen Arbeitsplätzen so erlebt? Oder "boykottierst" du das System aus Überzeugung?

Freue mich auf weitere Kommentare und eine angeregte Diskussion :D
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Re: Grundsicherung - eine Frage an Bezieher

Beitrag von Tania »

Kief hat geschrieben: 08 Aug 2018 21:59 Es ist jederzeit moeglich, eine Stelle zu finden, bei der sich die Arbeit nicht lohnt, und der finanzielle Abstand zum Hartz-IV-Bezug kaum nennenwert ist.
Ist die Frage ob man das will.
Ich würde es wollen. Hartz4 ist in meiner Vorstellung ein Geschenk der arbeitenden Menschen an die, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft verdienen können. Einen Job, den man physisch und psychisch leisten könnte (was ja leider oft nicht der Fall ist), mit dem Argument abzulehnen "da bekomme ich auch nicht mehr als wenn ich mir das Geld schenken lasse" fällt für mich in dieselbe Richtung wie "warum sollte ich mir nen Job suchen, ich kann doch weiter bei Mama wohnen, im Kühlschrank ist genug zu essen, und den neuen Fernseher wünsch ich mir einfach zu Weihnachten". Mit dem kleinen Unterschied, dass Mama die Wahl hat, ob sie ihren kleinen Liebling rausschmeißt. Der Finanzierer des Hartz4- Beziehers hat diese Wahl nicht, sondern muss sich diesbezüglich auf die Mitarbeiter des JC verlassen.

Allerdings ist es meiner Erfahrung nach oft nicht mal möglich, so eine leistbare Stelle zu finden, bei der man wenigstens das bekommt, was man vom Amt bekäme. Und da wäre dann auch meine Grenze erreicht - ich muss niemanden bei der Umgehung des Mindestlohnes unterstützen.
Zukünftig hauptsächlich im https://www.ab-forum.de zu finden.