Ernte

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ERSTER BEITRAG DES THEMAS
Endphase
Ist kein Frischling mehr
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Ernte

Beitrag von Endphase »

Und mein dritter Schreibversuch.

Ernte.

Ich liege im Bett, klammere mich noch an die sich verflüchtigenden Reste meiner Träume, da werde ich unbarmherzig in die Realität geholt. Der Aufseher geht durch die Räume, hämmert an die Wände und brüllt uns aus dem Schlaf. Aufstehen also. Ich quäle meine müden Körper hoch, lasse meine Beine über den Rand des Stockbetts baumeln und zwinge mich meine Augen zu öffnen.

Ein Raum vom Verfall geprägt, verfallende Wände, verfallende Körper, verfallende Hoffnungen. Ich steige aus dem Bett und klettere nach unten, unten liegt Masha. Sie ist schon alt, fast 30, sie klammert sich an den uralten Teddybär den sie unter großen Risiken aus der verstrahlten Ruine geborgen hat, da wo ihr Mund auf dem Kissen lag ist ein getrockneter Blutfleck, so beginnt es und so endet es, aber über diese Dinge redet niemand von uns.

Wir gehen in den Bereitschaftsraum und warten auf die Aufseher. Javier hat Frühstücksdienst, er verteilt das brackige Wasser das uns langsam tötet, den widerlichen Schleim den sie uns zu essen geben. Ich starre die Wand an, lese Begriffe wie Bunker 4, Abteilung 7, meine Mutter hat mich das Lesen gelehrt, unter der Bettdecke, ihr war klar was die Aufseher ihr und mir antun würden wenn sie das herausfänden. Sie war dann weg, verschwunden nach einer Ernte.

Dann kommen die Aufseher, heute ist der Pfeifer als Führer unserer Gruppe eingeteilt, das ist nicht sein Name, aber er pfeift immer eine nicht fassbare Melodie vor sich hin, gefährlich wird es wenn er aufhört zu pfeifen, dann muss man sich vorsehen, dann muss man auf alles vorbereitet sein.

Wir verlassen den Block und ich blicke in das was ich als meine Welt kenne: Die Ruinen, ausgedörrt unter der Glut der Sonne, die Krater wo Beton und Erde zu Glas geschmolzen wurden und in der Ferne das tote Land wo nicht einmal die Kakerlaken überleben.

Wir gehen dann in einer Reihe hintereinander, vorne gebückt und hager Michael der es wohl immer noch nicht fassen kann das sie ihn zum Aufseher befördert haben, dahinter wir, Masha zuerst, ich sehe das Blut im Schritt, wissend was das bedeutet, am Ende der Kolonne der Pfeifer, atonal pfeifend natürlich. Wir gehen zu den Latrinen, nehmen ihren Inhalt mit, dann zum Teich, das faulige Wasser, auch das nehmen wir mit.

Dann gehen wir zum Kartoffelacker, staubig und ausgedörrt, düngen ihn mit unseren Exkrementen, dem kranken Wasser, zupfen die mutierten Käfer von den verkümmerten Stauden, und ja wir essen sie. Die Blätter sind verdreht, krank und verfallend wie alles hier. Die klügeren von uns wissen das die Pflanzen nicht nur Nährstoffe und Wasser aus dem Boden ziehen, würden sie sonst im dunklen leuchten ? Aber auch darüber reden wir nicht, schließlich müssen wir essen.

Anschließend machen wir uns auf den Weg in das Gebiet wo wir heute auf die Suche gehen werden, wir tragen leere Säcke mit der kargen Hoffnung das eine oder andere brauchbare zu finden, ganz im Nordosten der Stadt sind wir heute eingeteilt, eine Gegend die uns kaum vertraut ist.

Unbekannte Regionen sind gefährlich, da muss man aufpassen. Des Nachts da ist es einfach, man erkennt die gefährlichen Ecken an dem fahlen Leuchten, aber in der grellen Mittagssonne muss man auf der Hut sein und auf die Details achten: Die Stellen wo noch nicht mal die allgegenwärtigen graugrünen Flechten wachsen müssen ebenso gemieden werden wie Ansammlungen der ausgedörrten Panzer der mißgestalteten Kakerlaken. Früher hatten wir Dosimeter, aber die sind schon seit Jahren kaputt. Im Gänsemarsch zieht unser Zug durch die Ruinen, schweigend wie immer, nur der Pfeifer summt die seltsame Melodie die ihn nie loslässt. Masha geht es gar nicht gut, ich sehe eine Träne aus Blut aus Ihrem Augenwinkel rinnen, ich denke das wird jetzt schnell gehen.

Auf unserem Weg passieren wir den Bunker 7, dort wurde vor zwei Wochen geerntet, er wird leer bleiben bis Patrouillen wieder genug versprengte Einzelgänger in der Wüste aufgelesen haben um einen neuen Trupp zu bilden, das wird schwer werden, da draußen lebt kaum noch jemand.

Swenja hat es tatsächlich mal gewagt einen Aufseher zu fragen was die Ernte bedeutet und wo sie die Leute hinbringen. Der Schlag der sie fällte brach ihren Kiefer. Es gab mal eine Welt da hätte ein Arzt das gerichtet und alles hätte sich zum guten gewendet. Diese Welt kenne ich nur aus halb erinnerten Geschichten die mir meine Mutter als Kind erzählt hat. Aber in dieser Welt leben wir nicht. Danach hat nie wieder einer diese Frage gestellt.

Wir erreichen das Suchgebiet und durchstöbern im Zweiertrupps die Umgebung, suchen nach Konservendosen die nach all den Jahrzehnten immer noch nicht aufgebläht sind, suchen in verrotteten Küchenschränken nach Zuckerdosen, Flaschen mit Pflanzenöl das nach all dieser Zeit fast schwarz ist, Töpfe, Pfannen, auch brauchbares Geschirr, nur die Messer ignorieren wir, wir haben alle schon gesehen was der Pfeifer mit denen anstellt die glauben sie könnten eines in den Bunker schmuggeln.

Ich scheuche eine Ratte auf, einen Moment lang bleibt sie erstarrt stehen und mustert mich mit ihren Knopfaugen. Ihr Atem geht schwer, ihr Körper ist mit nässenden Geschwüren übersät. Bevor ich nach einem Stein greifen kann um sie zu erschlagen huscht sie in eine Spalte. Es wäre schön gewesen mal wieder Fleisch zu essen.

Wir machen Pause, suchen so etwas wie Schatten, die Aufseher prüfen unsere kümmerliche Beute. Es geht weiter, wir quälen uns wieder hoch aber Masha bleibt sitzen. Michael brüllt sie an, aber sie bleibt sitzen, ihr Blick ist leer, unter ihr ist eine kleine Lache Blut. Wir wissen was jetzt kommt. Es ist mucksmäuschenstill, auch der Pfeifer hat sein Lied für den Moment beendet. Früher hätte er sie jetzt erschossen, aber sie haben wohl kaum noch Munition. Stattdessen holt er den Blutverkrusteten Hammer aus dem Rucksack, zerrt sie hoch und führt sie hinter einen Mauerrest der wie ein verfaulender Zahn in der Trümmerlandschaft steht. Wir blicken nicht auf als das Geräusch ertönt. Auch daran gewöhnt man sich.

Danach suchen wir weiter, schweigend wie immer bis es Zeit ist zum Bunker zurück zu kehren. Und wieder im Gänsemarsch trotten wir zurück, nur das ich jetzt vorne bin, ich bin jetzt der Älteste. Ich frage mich ob sie jetzt an irgendeinen anderen Ort ist, wo es grün ist, wo einem die Nahrung und das Wasser und die Luft und die Erde nicht umbringt, wo das Leben einem selbst gehört und nicht den Aufsehern. Ich denke nicht das sie etwas dagegen hat, wenn ich ihren Teddybären nehme um mich an ihn zu kuscheln damit er mich in den Schlaf führt, den einzigen Ort wo man sich sicher und im Frieden fühlt.

Als wir den Bunker erreichen, blicke ich erstaunt auf. Viele Aufseher haben sich vor dem Gebäude in Position gebracht, ich sehe einen verrosteten LKW mit laufenden Motor, ich weiß nicht wann ich so etwas das letzte mal sah. Uns wird angewiesen das Gebäude nicht zu betreten, wir stehen also während die Schatten länger werden. Auf der Schiefertafel die schon immer leer am Eingang hing hat jemand etwas mit Kreide gekritzelt, für die anderen ist das sinnloses Gekrakel, aber ich kann lesen: Ernte 23.04.2104 Bunker 4

Auf einmal stolziert ein Oberaufseher in mein Blickfeld, die sieht man sonst so gut wie nie. Ich kann nicht aufhören ihn anzustarren, nicht in schäbige Lumpen gekleidet wie wir und die Aufseher, sondern in saubere Kleidung gehüllt, nicht ausgemergelt, sondern wohlgenährt, fast fett.

Er verspeist genüsslich ein belegtes Brot, ja, das ist tatsächlich Brot, Fett hängt in seinen Mundwinkeln. Ich weiß nicht was mich da getrieben hat, aber ich sprach ihn an: Ist das Fleisch ? Ist das Schwein oder Huhn ?

Er fing an zu zucken, seine Wampe wackelte, er lief rot, fast violett an, seltsame Geräusche kamen aus seinem Körper, ich dachte erst er erstickt, dann begriff ich er hat einen Lachkrampf. Er hörte nicht mehr auf zu lachen, bis er sich letzen Endes wieder in den Griff bekam:

„ Siehst du hier Schweine oder Hühner du Idiot ? Und jetzt wegtreten, geht in den Schlafsaal“

Und da begriff ich es. Einen Moment lang dachte ich an Flucht, mein Blick wanderte über die Ruinen, dann weiter, der Stacheldrahtzaun wo Aufseher mit Gewehren patrouillierten, darüber hinaus wo über dem toten Land die ionisierte Luft im Licht der tief stehenden Sonne glühte. Wohin soll ich den fliehen ? Ich resignierte, mit gesenktem Kopf mit müden Schritten ging ich in den Bunker, der Rest folgte mir. Morgen also. Morgen werde ich geerntet.
Signaturen sind albern.

ERSTER BEITRAG DES THEMAS
Zigg

Re: Ernte

Beitrag von Zigg »

Wow,
Endzeitstimmung.
Sehr fesselnd geschrieben.

Ich freue mich Schon auf weitere Texte von dir.
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Silvina
Begeisterter Schreiberling
Beiträge: 1898
Registriert: 06 Jun 2013 19:34

Re: Ernte

Beitrag von Silvina »

Ich finde, Du bist echt talentiert :good:
Manchmal muss man das Chaos nur ein bisschen schütteln, und es wird ein Wunder draus.
yes_or_no

Re: Ernte

Beitrag von yes_or_no »

ich habs grad auch gelesen und werd denk ich auch noch mehr von dir lesen :)