Das paradoxe Gesetz der Veränderung

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Birdfood
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Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von Birdfood »

Zur Zeit beschäftige ich mich mit Persönlichkeitsentwicklung und bin auf diesen Text gestoßen, den ich mal hierrein kopiert habe, weil ich glaube, das er für viele von uns relevant sein könnte.
Veränderung geschieht, wenn jemand wird, was er ist, nicht wenn er versucht, etwas zu werden, das er nicht ist. Veränderung ergibt sich nicht aus einem Versuch des Individuums oder anderer Personen, seine Veränderung zu erzwingen, aber sie findet statt, wenn man sich die Zeit nimmt und die Mühe macht, zu sein, was man ist; und das heißt, sich voll und ganz auf sein gegenwärtiges Sein einzulassen.
Er glaubt, daß Veränderung nicht durch Bemühen, Zwang, Überzeugung, Einsicht, Interpretation oder ähnliche Mittel zu bewirken ist. Vielmehr entsteht Veränderung, wenn der Klient - zumindest für einen Moment - aufgibt, anders werden zu wollen, und stattdessen versucht zu sein, was er ist. Dies beruht auf der Prämisse, daß man festen Boden unter den Füßen braucht, um einen Schritt vorwärts zu machen, und daß es schwierig oder gar unmöglich ist, sich ohne diesen Boden fortzubewegen.
"Wir sind alle mit der Idee der Veränderung beschäftigt, und die meisten gehen da heran, indem sie Programme machen. Sie wollen sich ändern. ›Ich sollte so sein‹ und so weiter und so weiter. Was aber tatsächlich geschieht, ist, daß die Idee einer vorsätzlichen Änderung niemals, nie und nimmer, funktioniert. Sobald man sagt: ›Ich möchte mich ändern‹ - ein Programm aufstellt - wird eine Gegenkraft in einem erzeugt, die von der Veränderung abhält. Änderungen finden von selbst statt. Wenn man tiefer in sich hineingeht, in das, was man ist, wenn man annimmt, was da vorhanden ist, dann ereignet sich der Wandel von selbst. Das ist das Paradoxe des Wandels. Vielleicht kann ich das mit einem guten alten Sprichwort ein wenig untermauern, das folgendes besagt: ›Der Weg in die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.‹ Sobald man eine Entscheidung fällt, sobald man sich ändern will, begibt man sich auf den Weg in die Hölle, weil man's nicht erreichen kann; und dann empfindet man sich als schlecht; man quält sich selbst und fängt an, das allseits bekannte Selbstquälerei-Spielchen zu spielen, das bei den meisten Menschen unserer Zeit so sehr beliebt ist.
"Als ich aufhörte, zu kämpfen und an einer Änderung zu arbeiten, als ich Wege fand zu akzeptieren, wie ich bereits geworden war, entdeckte ich, daß ich mich gerade dadurch veränderte. Anstatt mich behindert und unzulänglich zu fühlen, wie ich befürchtet hatte, fühlte ich mich wieder ganz. Ich erlebte ein Wohlbefinden und eine Fülle, die ich zuvor nicht gekannt hatte" (Beisser, in seiner Autobiographie "Wozu brauche ich Flügel? Ein Gestalttherapeut betrachtet sein Leben als Gelähmter")
Diese Absätze sind in etwa die Kernaussage des Textes.
Wer den ganzen Text lesen will: der Link zum Zitat
I can´t find on google but it´s delicious

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soukous
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Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von soukous »

Ganz meine Rede.

Und bevor jetzt Einwände kommen: Die Gestalttherapie ist eine wissenschaftlich fundierte Form der Psychotherapie und kein esoterisches Gerede von irgendwelchen Laien.
pyrit

Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von pyrit »

Wow - das trifft den Nagel auf den Kopf :shock: Da hat jemand in Worte gefasst, was mir im Hirn herum schwirrte und wo ich dachte, ich müsste diesbezüglich mal einen Thread mit dem zynischen Titel "Wir ändern und zu Tode" starten. Aber, schön, das so zu lesen und Danke fürs Reinstellen!

Habe ja schon mal geschrieben, dass die Aussage meiner Therapeutin dazu war: "Das ist das paradoxe an der Therapie - man ändert sich, weil man lernt, sich selbst anzunehmen."

Es gibt ja zwei völlig verschiedene Arten, Änderungen vorzunehmen, wobei ich nur auf die zweite äußerst allergisch reagiere - obwohl sie äußerlich manchmal nicht ganz zu unterscheiden sind.
Die erste ist gewissermaßen, sich seine Wünsche ein Stück weit zu erfüllen und seine eigenen Möglichkeiten besser auszunutzen - z.B. in dem man sich überlegt, wie man sein Leben gestalten könnte, damit es mehr den eigenen Vorstellungen entspricht. Auch, sich z.B. mehr zu trauen, mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln usw. Ich finde, der Thread von kleinefee "Es gibt echte Veränderungen" ist ein sehr schönes Beispiel hierfür.

Die zweite dagegen scheint zum Grundsatz zu haben, dass man so, wie man ist, minderwertig ist und SICH darum ändern müsse. Gewissermaßen ein Wegrennen vor sich selber, würde ich sagen.

Mit der zweiten "Methode" habe ich mehrere Jahre meines Studiums damals verschenkt, verlorene Jahre, würde ich fast sagen, Jahre, in denen ich mich nur gequält habe und kein Stück weiter gekommen bin - paradoxerweise im blindwütigen Versuch, weiter zu kommen, alles anders werden zu lassen, anders zu sein, mich zu "ändern". Es ist traurig und fast schon ekelhaft, daran zu denken, wie selbstverständlich mir die Selbst-Verachtung eigentlich vorkam.

Da habe ich Selbsthilfe-Bücher wie Bibeln gewälzt und mir das Hirn zermartert mit der Frage "Wie, wie WIE muss ich sein und werden, um gemocht und geachtet werden zu können und nicht verachtet zu werden????" Dass man mich um meiner selbst willen mögen und achten könnte, das hatte ich ja in den zehn Jahren zuvor gründlich verlernt - denn irgendwann reichen die Kraftreserven nicht mehr aus, um etwas anderes zu glauben.
Es hat dazu geführt, dass ich fast schon panisch vor anderen verborgen habe, wie mit mir umgesprungen worden ist, wie mein Leben zuvor aussah und welche Verletzungen ich davongetragen hatte, da ich der Meinung war, dadurch würde mein Makel offenbart werden, die anderen würden sehen, dass ich überhaupt nicht mehr wert bin und sich ebenfalls entsprechend verhalten.
Es hat auch dazu geführt, dass ich mir zuerst die völlig falschen Leute gesucht habe, da mir das Gefühl dafür abhanden gekommen war, eine ernsthaft freundliche Behandlung wert zu sein und mich darum nicht entfernt habe oder dem nichts entgegen zu setzen hatte, wenn dem nicht so war.
Denn unfreundliche Reaktionen von anderen konnten, der "Du-bist-nicht-richtig-wie-du-bist-also-musst-du-anders-sein"-Logik zufolge ja nur heißen, dass ich nicht "richtig" wäre, mich nicht gut genug "geändert" hätte ...
aus der Distanz heraus gesehen ein selbstzerstörerischer Wahnsinn.
Timbon

Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von Timbon »

Is ausnahmsweise mal n psychologischer Text, dem ich spontan oft zustimmen musste. So populärwissenschaftliches Gelaber neigt ja oft dazu, einem n "nee, eigentlich net" denken zu lassen.
Habe aber einen Kritikpunkt: Veränderung kann auch dadurch kommen, dass man einsieht, inem Punkt falsch gelegen zu sein und/oder keine Ahnung zu haben und dadurch Dinge anders sieht. Was ja dann auch Folgen fürs Denken, Reden und Handeln haben (könnte).

Was mir dazu einfällt und was die Leistungsgesellschaft verlernt hat (der ich mich NICHT zugehörig fühle. Heißt nicht, dass ich Leistung scheiße find, sie ist halt nicht alles im Leben und nur n Mittel zum Zweck), die ja Zielgruppe von solchen Problemen zu sein scheint: Das Prinzip chillen. Der Song bzw die Filmstelle "Probiers mal mit Gemütlichkeit" vom Dschungelbuch trifft des ziemlich gut, was ich damit meine und was so vielen Leuten fehlt. Mal ne Runde entspannen, das Leben im Jetzt leben, sagen "scheiß drauf, ich hab jetzt genug gemacht", "mir grad mal egal, was andere von mir halten" oder " ich mach jetzt, worauf ich Bock hab" oder sowas. Klar, man kann nicht dauernd so leben, aber ich hab n Eindruck, als ist des Prinzip viel zu sehr in Vergessenheit geraten im Vergleich dazu, wie wichtig es für die Menschen scheint als Ausgleich fürs Leisten.

Könnte vllt auch n Schritt sein, sich selbst zu akzeptieren. Oder ist des eher andersrum, dass man erst dann richtig chillen und entspannen kann, wenn man dies bereits getan hat? Hm :/ Hoffentlich is mein Geschreibsel dann net unbrauchbar.
Eliza Jane

Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von Eliza Jane »

soukous hat geschrieben:Ganz meine Rede.

Und bevor jetzt Einwände kommen: Die Gestalttherapie ist eine wissenschaftlich fundierte Form der Psychotherapie und kein esoterisches Gerede von irgendwelchen Laien.

Das heißt absolut gar nichts. Das ist wie mit der Religion. Nur weil man Kirchensteuern zahlt, bedeutet das nicht, dass dieser Gott realer ist als das Fliegende Sphagettimonster.
NBUC
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Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von NBUC »

Timbon hat geschrieben: Was mir dazu einfällt und was die Leistungsgesellschaft verlernt hat (der ich mich NICHT zugehörig fühle. Heißt nicht, dass ich Leistung scheiße find, sie ist halt nicht alles im Leben und nur n Mittel zum Zweck), die ja Zielgruppe von solchen Problemen zu sein scheint: Das Prinzip chillen. Der Song bzw die Filmstelle "Probiers mal mit Gemütlichkeit" vom Dschungelbuch trifft des ziemlich gut, was ich damit meine und was so vielen Leuten fehlt. Mal ne Runde entspannen, das Leben im Jetzt leben, sagen "scheiß drauf, ich hab jetzt genug gemacht", "mir grad mal egal, was andere von mir halten" oder " ich mach jetzt, worauf ich Bock hab" oder sowas. Klar, man kann nicht dauernd so leben, aber ich hab n Eindruck, als ist des Prinzip viel zu sehr in Vergessenheit geraten im Vergleich dazu, wie wichtig es für die Menschen scheint als Ausgleich fürs Leisten.
Das ist aber auch wieder eine Frage von Anerkennung und positiver Rückmeldung. Besser geht immer und wenn man nie signalisiert bekommt das was man erreicht hat ist OK, dann versuchen halt manche Typen (mich eingeschlossen) noch etwas an Leistung draufzupacken, wenn dazu ein Weg erkennbar ist.

Das ist der Moment, wo Paare wirklich frusten, wenn man beim Sport sieht wie Erfolg oder Niederlage emotional positiv begleitet werden (Gegenbeispiele ewig unzufriedener Partner gibt es allerdings auch).
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wenn ich nicht antworten sollte heißt das nicht, dass du Recht hast, sondern ich kein Internet!
larryd

Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von larryd »

Interessante Theorie und wirklich paradox. Hat das denn für dich funktioniert soukous?
soukous
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Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von soukous »

larryd hat geschrieben:Interessante Theorie und wirklich paradox. Hat das denn für dich funktioniert soukous?
Das AB-tum habe ich dadurch nicht abgestreift, aber mein Gefühl für meinen Selbstwert, das früher total am Boden war, ist erheblich gestiegen.
larryd

Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von larryd »

Ich frage mich jedoch, wie man das Paradox löst. Denn ist die Entscheidung keine Entscheidung zur Veränderung zu treffen, nicht auch eine Entscheidung? Wie funktioniert sowas in der Praxis? Wie sieht so eine Gestalttherapie praktisch aus?
soukous
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Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von soukous »

Ein Gestalttherapeut wird den Klienten dazu anzuhalten versuchen, dass er in seine verabscheuten Persönlichkeitsanteile voll und ganz hineingeht. Das kann darin bestehen, dass er dazu aufgefordert wird, sich seiner Defizite lang und breit zu rühmen und z.B. in der nächsten Zeit allen möglichen Leuten zu erzählen, wie dumm, unbedeutend oder wasweißichsonstnoch er ist. Dadurch wird eine Veränderung angestoßen.

Daneben verwendet die Gestalttherapie auch klassische psychoanalytische Verfahren. D.h. der Therapeut hilft dem Klienten festzustellen, in welchen früheren Situationen er unbewusst seine problematischen Denk- und Verhaltensweisen gewählt hat. Durch diese Bewusstmachung verschwinden diese dann.
pyrit

Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von pyrit »

Mir ist dazu ein Zitat eingefallen, ich bin mir sehr sicher, dass es von Fontane stammt, hab es aber beim googeln nicht finden können und, da ich Fontane eigentlich nicht mag und demnach keine Bücher von ihm habe (geschweige denn, dass ich noch weiß, was ich von ihm gelesen habe [außer "Effi Briest", was ich stink-langweilig fand...]), ich weiß auch nicht mehr den genauen Wortlaut, aber es hat mich beeindruckt.
In etwa so:
"Es gibt wenig Abstoßenderes als einen Mann, der sich insgeheim selbst verachtet, aber bei anderen gefällig sein will."

Das trifft es, was ich meine: Jemand, der vor sich selber wegläuft und versucht, jemand anders zu sein oder zu werden, wirkt bestenfalls seltsam, im schlimmeren Fall abstoßend. Denn andere Menschen merken instinktiv sehr genau, ob sich jemand selber achtet oder nicht oder auch nur akzeptiert oder nicht.
Sich selbst nicht zu wollen, aber versuchen, sich bei anderen beliebt zu machen, dürfte einer der ganz großen Abturner sein.
Vielleicht glücklicherweise.

Und das hat absolut nichts damit zu tun, nichts aus seinem Leben zu machen.
Möwe75
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Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von Möwe75 »

Ich kann dem Gesetz aus eingener Erfahrung zustimmen. Es hilft ungemein, wenn man seine Macken irgendwann als zu einem dazugehörend akzeptiert. Mit Selbst-Bekämpfung schadet man nur sich selbst und kommt keinen inneren Schritt weiter. Zudem übersieht man dabei, dass Eigenschaften nicht nur negative, sondern auch positive Aspekte haben. Die positiven Auswirkungen fördern, die negativen akzeptieren, das hat mich persönlich vorwärts gebracht.
Wenn es nur eine einzige Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen. P. Picasso
Prinzessinnenschreck
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Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von Prinzessinnenschreck »

Ich befürchte, daß es nicht nur darum geht,
sich selbst nicht zu wollen
.

Ein minderes Selbstwertgefühl schützt mich vor einer Überforderung durch Veränderungen und verdeckt häufig die Angst davor. Wenn morgen plötzlich die Abscheu vor dem eigenen Spiegelbild weg wäre, ich weiß nicht, ob ich dem dann möglichen Weg und den damit verbundenen Anstrengungen gewachsen wäre.

Alles was hier diskutiert wird hört sich für mich nicht nach Ursache an.
Ich würde zu gerne das Elementarteilchen benennen können, das hinter meinen ganzen Schutzmechanismen versteckt darauf wartet, gespalten zu werden.

Ich habe das Gefühl, daß dieses Forum (oder die ganze Welt?) in zwei Lager gespalten ist. Ganz extrem auf der einen Seite stehen die Robinsons, für welche diese Welt eine Welt der Antworten auf beliebig komplizierte Fragen ist. Auf der anderen Seite stehen solche wie ich, die nur unbeantwortbare oder nicht eindeutig zu beantwortende Fragen sehen.

Wo ist die Brücke zwischen diesen beiden Welten?
pyrit

Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von pyrit »

Ich meine - es ist doch eine Binsenweisheit, dass Selbstbewusstsein attraktiv macht. (Sagen sogar, oder doch ganz besonders, die Pick-up-Fans.)

Bei mir ist es so, dass ich zwar wenig mit Männern anfangen kann, die ein aufgeblähtes Ego haben und es oder sich zur Schau stellen müssen, aber wenn jemand mit sich im Reinen ist, wirkt das schon attraktiv.

Daraus folgt doch schon, dass jemand, dem das Programm "Was ist falsch mit mir? Was mache ich falsch?????? Die anderen müssen irgendwie besser als ich sein ... wie kann ich werden wie ..." unattraktiver wirkt.
Viele hier im Forum haben Mobbing und Ausgrenzung erfahren und das sind typischerweise die Sachen, die einem das Selbstwertgefühl rauben.

Ist es nicht logisch, dass in solchen Fällen einen der Fokus, wie man grade das wieder aufbauen kann, mehr bringen muss als die weitere, manchmal schon krankhafte Suche nach den eigenen Fehlern, die angeblich zwischen einem selbst und den anderen stehen?
Für meinen Teil denke ich, dass mein desolates Selbstwertgefühl sehr viel mehr zwischen mir und den anderen steht als irgendwelche ominösen "Fehler", die ich akribisch suchen und ausmerzen müsste.

Ich merke bei mir, dass mich dieses Denken "Irgendwas stimmt mit mir nicht, macht mich schlechter als die anderen, müsste ich ändern..." teilweise regelrecht handlungsunfähig macht (und damit positive Veränderungen regelrecht verhindert).
Habe mal irgendwo gelesen, dass es bei Frauen viel von der Attraktivität ausmacht, ob sie "entspannt", gelassen, zuversichtlich, vertrauensvoll in sich, das Leben und andere sind.
Glaube ich aufs Wort.
Wenn ich aber diese Gedanken "Ich muss mich ändern, ich bin nicht gut genug, so, wie ich bin..." im Hinterkopf habe, dann bin ich nicht mehr entspannt und kann nicht mehr richtig reagieren. Dann schaue ich mich, bei allem, was ich mache und sage wie von außen an und kommentiere mich unterbewusst mit ätzender Stimme "Siehst du, die anderen können das besser, schau nur, wie souverän .... und du dagegen ... SO müsstest du sein ..."
Und wenn ich dann auch noch anfange, diese vermeintlich so viel besseren Personen "kopieren" zu wollen, dann werde ich vollkommen verkrampft und weiß nachher nicht mehr, wer ich selber bin.

Ein anderes Beispiel:
Mein Vater (und daraus, dass ich seine Tochter bin, kann man ja zwingend ableiten, dass er nicht alleine geblieben ist) stottert ein bisschen, war nie so "schick" und redegewandt wie andere oder seine Brüder und früher wohl sehr linkisch im Verhalten - aber mit einem großen, eigenen Dickkopf.
Er ist jemand, der von vielen Leuten sehr gemocht und geachtet wird (unter anderem von mir - wen wundert`s).

Er hätte aber unter aller Garantie im Leben nicht so viel erreicht, wenn er den Fokus auf seine "Fehler" gelegt und sich ständig überlegt hätte, wie er sich ändern müsste, um "so gut wie die anderen" zu sein. Weil das völliger Quatsch wäre.
Hätte er sich eine Liste gemacht mit seinen Fehlern und überlegt, wie er "an sich arbeiten" könne, um den anderen ebenbürtig zu werden - dann wäre er vermutlich heute noch alleine, würde vielleicht krampfhaft zum Logopäden rennen und sich immer wieder selbst eins dafür auf die Kappe geben, dass er immer noch nicht redegewandt ist und völlig flüssig spricht, immer noch nicht so ein Ego hat wie andere (vermeintlich), andere so beeindrucken kann ...

Das sehr Sympathische (und wahrscheinlich auch Attraktive) an ihm ist, dass er einfach so ist, wie er ist und sich das nicht übel nimmt. Und darum haben diese "Fehler" auch kein Gewicht mehr und sind gar keine.
Und andere merken, dass das jemand ist, der andere auch nicht verurteilt, wenn sie Unsicherheiten haben.

Bei einem "Rennen" um eine bestimmte, leitende Position hat er diese übrigens bekommen. Und hat nachher von einem Kollegen direkt gesagt bekommen, dass er einfach viel "echter" und sympathischer als der Konkurrent gewirkt hätte, der eine glänzende Hochglanz-Show abgezogen hat, um sich darzustellen und damit weniger Glaubwürdigkeit erreichen konnte.
Nicht falsch zu verstehen: Mein Vater hat sich nicht hingestellt und gesagt "Ich bin unsicher und manchmal linkisch, und deshalb gebt mir den Posten als..." sondern er hat zu seiner Art gestanden und genau in dieser Art berichtet, was er gemacht hatte und was ihn qualifiziere. Und das kam an.
Ich denke, es kann sehr souverän wirken, zu seinen Unsicherheiten zu stehen!

Wer weiß? Vielleicht hat der andere ja vorher Selbsthilfebücher gewälzt mit "Wie präsentiere ich mich am besten? Wie überzeuge ich andere am besten von mir? Wie mache ich das Beste aus meinem Typ?".
Und das kam in diesem Fall ganz offensichtlich eher als mangelnde Souveränität, sich selber gegenüber, an.
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Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von Prinzessinnenschreck »

Demnach hat Selbstbewußtsein etwas mit Anpassungsvermögen zu tun.
Ich fühle mich wertvoller, wenn ich mich an die Gegebenheiten anpasse und mich mit mit meinem "Stottern" arrangiere. Man könnte auch sagen ich passe den Wert meines "Fehlers" an von "nichts wert" in Richtung "nicht so schlimm" und werde dadurch selbst wertvoller.
Das gefällt mir ganz gut und ist etwas was ich so auch noch nie in diesem Zusammenhang gesehen habe.
Dadurch kommen viele Dinge ans Licht, die sich (nur scheinbar unabhängig davon) hinter meinen Minderwertigkeitsgefühlen verstecken:
Ich habe in der Vorstellung häufig eine deutliche Abneigung gegen alles Mangelhafte, nicht Perfekte. Ich idealisiere sehr gerne.

Wirklich viel anfangen kann ich damit aber noch nicht, weil ich auch mit diesem Wissen immer noch nicht ertragen kann, daß vieles einfach so ist, wie es ist.
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Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von yva »

pyrit hat geschrieben:Ich meine - es ist doch eine Binsenweisheit, dass Selbstbewusstsein attraktiv macht.

[...]Ist es nicht logisch, dass in solchen Fällen einen der Fokus, wie man grade das wieder aufbauen kann, mehr bringen muss als die weitere, manchmal schon krankhafte Suche nach den eigenen Fehlern, die angeblich zwischen einem selbst und den anderen stehen?

Ich merke bei mir, dass mich dieses Denken "Irgendwas stimmt mit mir nicht, macht mich schlechter als die anderen, müsste ich ändern..." teilweise regelrecht handlungsunfähig macht (und damit positive Veränderungen regelrecht verhindert).

Wenn ich aber diese Gedanken "Ich muss mich ändern, ich bin nicht gut genug, so, wie ich bin..." im Hinterkopf habe, dann bin ich nicht mehr entspannt und kann nicht mehr richtig reagieren. Dann schaue ich mich, bei allem, was ich mache und sage wie von außen an und kommentiere mich unterbewusst mit ätzender Stimme "Siehst du, die anderen können das besser, schau nur, wie souverän .... und du dagegen ... SO müsstest du sein ..."
Und wenn ich dann auch noch anfange, diese vermeintlich so viel besseren Personen "kopieren" zu wollen, dann werde ich vollkommen verkrampft und weiß nachher nicht mehr, wer ich selber bin.

Ich denke, es kann sehr souverän wirken, zu seinen Unsicherheiten zu stehen!
Finde ich alles sehr richtig, wenn es nur nicht so schwer wäre es umzusetzen. Mir stellt gerade wirklich die Frage: Wie schaffe ich es, von meinem jahrzehntelang gewohnten Fokus auf "Fehler", (also auf das, was mir an mir nicht gefällt und wo ich genau diese Gedanken habe, dass es mich von anderen abgrenzt, dass sie XY besser können, so sind, wie ich es gern wäre, etc.) loszukommen, wie schaffe ich es???
Und auch die Tatsache, dass solche Gedanken natürlich nur noch handlungsunfähiger machen. Da hab ich das Gefühl, ich kann noch so viele selbstwertbildende Übungen machen, letztlich kenne ich meine Schwächen (die ich eben noch nicht fähig bin einfach so zu akzeptieren) und höre dann immer wieder die "Teufelchen"-Stimme, die mich wieder aufs Neue runterzieht.
Ohne Vertrauen in mich gehe ich dann auch nichts an, dadurch können also auch keine positiven Erfahrungen entstehen, ich fühl mich schlecht und sehe weiterhin meine Fehler...Teufelskreis!

Also ist meine Frage vielleicht eher: wie schafft man es, die negative Stimme zu akzeptieren, die eigenen Schwächen wirklich als einen Teil von sich zu sehen und sie quasi als weniger ausgeprägte Stärken (und somit nicht als Fehler an einem) wahrzunehmen?
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Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von NBUC »

Selbstbewußtsein macht attraktiv, aber je nach Wahrnehmung durch ein geneigtes gegenüber muss das nicht zwingend ein Ausschlusskriterium sein.
Problematisch wird es erst, wenn innerhalb einer näheren Bekanntschaft erkennbar wird, dass das Ego des Gegenüber nicht "reparabel" ist.

Und natürlich in dem Moment, wo jemand eben (noch) nicht geneigt ist und vom anderen Werbungsverhalten gefordert wird (von wem wohl...), welches dann insbesondere mit mangelndem spezifischen Selbstvertrauen natürlich eher unsouverän daher kommt.
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Wechselta.(ug)

Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von Wechselta.(ug) »

Prinzessinnenschreck hat geschrieben:Ich habe in der Vorstellung häufig eine deutliche Abneigung gegen alles Mangelhafte, nicht Perfekte.
Das kommt mir bekannt vor und am schlimmsten richtet sich das gegen mich selber. Über meine Mängel könnte ich wahrscheinlich ein Buch schreiben. Aber dabei gibt es halt Mängel, die ich akzeptieren sollte um weiter zu kommen und andere die ich definitiv ausmerzen sollte, wie z.B. meine Neigung mich alleine zu Hause zurück zu ziehen.
pyrit

Re: Das paradoxe Gesetz der Veränderung

Beitrag von pyrit »

@ yva ...
Leider bin ICH wohl eine der denkbar schlechtesten Ratgeberinnen zu diesem Thema, da es das ist, mit dem ich selbst am meisten zu kämpfen habe und all zu oft das Gefühl habe, gegen einen übermächtigen, nicht zu bezwingenden Berg ankämpfen zu müssen.

Aber vor noch nicht all zu langer Zeit habe ich doch eine ein klein wenig andere Perspektive bekommen.
Ich glaube, es geht darum, sich innerlich aufzupäppeln, so, wie wenn man eine lange, schwere Grippe hatte, und nun das Falscheste wäre, sich selbst dafür zu beschimpfen, dass das Jogging nicht klappt, die Beine wackelig sind, man nicht so strahlend und gesund aussieht wie andere ...
In dem Fall wäre es weitaus besser, statt sich zum Rennen zu zwingen und sich zu beschimpfen, dafür zu sorgen, dass es einem gut geht und dass man wieder zu Kräften kommt.
Ich glaube, wenn man möglichst viele Gelegenheiten schafft, bei denen man sich gut fühlt, dann kann so etwas wie eine Selbstsicherheit wachsen.
Damit meine ich nicht das aufgeblähte Ego und die große Klappe, sondern, dass man ein bisschen das Bewusstsein dafür bekommt, dass man es wert ist, dass man sich auch wohl fühlt.

Bei mir ist es z.B. das Kochen. Mir macht es, für mich ganz alleine, momentan sogar noch mehr Spaß, als wenn ich andere dabei hätte und bin froh, dass ich alles für mich alleine habe :mrgreen:
Es sind einfach so kleine Momente, wo man sich wohl in seiner eigenen Haut fühlt.
Und ich denke, ein bisschen "imprägniert" einen das gegen ätzende oder abwertende Reaktionen von manchen Mitmenschen. Ich denke, man wird dadurch weniger abhängig von ihnen.

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