Das sehe ich genauso. Wobei ich der Erziehung, so hart das gegenüber den Eltern klingen mag, die Hauptschuld daran gebe.
Wenn man schon als kleines Kind immer solche Dinge hört :
Sei anständig; Fass das nicht an; Lass das lieber, bevor was passiert; Und was ist, wenn das schiefgeht? ......
Ich habe das sehr verinnerlicht, jedoch waren die anderen Jungs in meinem Alter eben nicht so.
Also habe ich mich bereits im Kindergarten tatsächlich meistens mit Mädchen umgeben und mit denen eben Mädchen-Sachen gespielt. Die waren halt anständiger als die Jungs und da ich selbst "brav" sein musste / wollte, blieb eben nur die Option mit den Mädchen zu spielen, statt mit den "wilden" Jungs. Zu meinen Kindergeburtstagen habe ich auch nur Mädchen eingeladen. Umgekehrt wurde ich dann auch bei diesen Mädchen eingeladen. Diese wiederum haben aber natürlich außer mir nur andere Mädchen eingeladen, also war ich dort auch wieder der einzige Junge.
Aus der heutigen Sicht eine völlig absurde Situation. Für mich war das "normal", meine Eltern fanden daran auch nichts ungewöhnlich.
In der Grundschule kam dann der Anfang vom Ende. Die bisherige "Strategie" verlor immer mehr an Zugkraft. Es ging noch 1-2 Jahre gut, aber irgendwann war es für die Mädchen eben nicht mehr "normal", mit Jungs zu spielen. Also musste ich mich irgendwie in Richtung Jungs orientieren, um nicht komplett alleine zu sein. Aber dafür war es fast zu spät. Die Interessen und Verhaltensweisen der Jungs (Fußball spielen, was "anstellen", Computerspiele etc.) passten nicht zu meinen - denn mit den Mädchen spielte ich ja immer nur "ruhige" Mädchen-Sachen (z.B. Kaufladen
)
Zu allem Überfluss war ich oft mit meinem Vater unterwegs. Während also die anderen mit den Freunden auf den Jahrmarkt sind, bin ich mit meinem Vater dorthin. Andere sind mit den Freunden ins Schwimmbad, ich mit meinem Vater ...
Und tatsächlich fand ich das auch wieder "normal". Hat ja alles Spaß gemacht.
Dass ich mich auf diese Art und Weise immer weiter von den Gleichaltrigen entfremde, war mir im Alter von 10-11 Jahren natürlich nicht bewusst.
Ab der weiterführenden Schule und Klasse 5 war es dann endgültig gelaufen. Die Schule in der Stadt war mit meiner kleinen Dorf-Grundschule nicht mehr zu vergleichen und die Mitschüler waren dann noch andere "Kaliber", als in der Grundschule. Ein paar Mitschüler der Gundschule waren auch in meiner Klasse, aber eben halt die "wilden" Jungs, die sich dann mit den städtischen "wilden" Jungs angefreundet haben.
Ich war isoliert und wurde recht schnell Mobbingopfer, weil man merkte, dass ich mich gegen nichts wehre ("Sei brav!" - immer noch im Kopf).
Die Mädchen sind natürlich den "wilden" Jungs hinterhergerannt und waren auch selbst am Mobbing beteiligt.
Die Lehrer haben nichts gemerkt, da das Mobbing natürlich nur in den Pausen war.
Nach dem Realschulabschluss wechselten einige von uns auf eine andere Schule, um dort Abitur zu machen. Und man mag es kaum glauben, ich kam wieder mit den Mobbern in eine Klasse. Nicht mit allen, der Rest kam in Parallelklassen. Der Rest der Klasse bestand aus neuen Leuten, die alle aber in Ordnung waren. Daher legte sich auch das Mobbing, da alle älter und wohl vernünftiger wurden.
Aber zu retten war nichts mehr. Ich wurde zuvor jahrelang isoliert, hatte geringen bis keinen Anschluss in der Schule, war oft alleine zuhause oder habe etwas mit meinen Eltern gemacht, keinerlei sexuelle Erfahrungen in der Pubertät ...
Auch im Studium war ich nach den Vorlesungen immer in der Wohnung und habe gelernt oder fern geschaut. Am Wochenende bin ich nach Hause zu meinen Eltern gefahren. Unternehmungen mit anderen Kommilitonen gab es nicht, also auch keine Freundschaften. Andere haben Party gemacht, ich war zu Hause in meinem "Kinderzimmer."
Ich hatte es ja nie zuvor gelernt, auf neue / fremde Leute zuzugehen und locker zu plaudern. Meine Pubertät habe ich mehr oder weniger mit mir alleine ausgelebt bzw. mit den damaligen Möglichkeiten des Internets. Sex etc. war bei meinen Eltern sowieso immer ein Tabu, von daher war noch eine extra Schranke im Kopf.
Also warum bin ich AB? Zusammenfassend:
- von klein auf wurde ich so erzogen, immer brav zu sein und immer zu überlegen, was mir bei dieser oder jener Handlung "zustoßen" könnte
(> zunehmende Ängstlichkeit, denn es "könnte" ja was passieren. Diese Denkweise habe ich heute noch!)
- Im Kindergarten nur mit Mädchen befreundet (> im Vergleich zu den Jungs also sehr brav, ruhig etc.)
- Mobbingopfer von ca. Klasse 5 bis Klasse 10 (> Verinnerlichung: Du gehörst nicht dazu)
- keine sexuellen Erfahrungen in der Pubertät (> Wie geht man mit Mädchen um? Keine Ahnung)
- viele Unternehmungen mit den Eltern statt mit den Freunden (> Kaum Kontakt mit Gleichaltrigen außerhalb der Schule)
Diese "Grundsteine", die schon in der frühen Kindheit gelegt wurden, rächen sich bis heute.